Wen der Rabe ruft (German Edition)
dokumentiert – wo bleibt denn da der Spaß? Erzähl weiter.«
Maura trommelte einen Rhythmus auf ihren Bauch und starrte nach oben. Direkt über ihr hatte Blue ein Gedicht an die Decke geschrieben und vielleicht versuchte sie, es zu lesen. »Also, nach so einem Ritual ist er jedenfalls aufgetaucht. Ich glaube, er war möglicherweise in Cabeswater gefangen und wir haben ihn befreit.«
»Du hast ihn nicht gefragt?«
»Na ja … so eine Beziehung war das irgendwie nicht.«
»Ich will gar nicht wissen, was es dann für eine war, wenn Reden dabei keine Rolle gespielt hat.«
»Natürlich haben wir auch geredet. Er war ein wirklich anständiger Kerl«, sagte Maura. »Sehr sanft. Sensibel. Er fand, wir sollten uns alle mehr mit der Welt um uns herum befassen und mit der Frage, wie unsere Handlungen die Dinge auf Jahre hinaus beeinflussen können. Das gefiel mir an ihm. Er wirkte kein bisschen wie ein Moralapostel – er war einfach so.«
»Warum erzählst du mir das?«, fragte Blue. Es verstörte sie ein bisschen, wie unsicher Maura die Lippen zusammenpresste.
»Du wolltest doch mehr über ihn wissen. Ich erzähle dir das, weil du ihm sehr ähnlich bist. Er hätte sicher gerne mal dein Zimmer gesehen mit dem ganzen Mist, den du hier aufgehängt hast.«
»Na, herzlichen Dank«, sagte Blue. »Also, warum ist er dann abgehauen?«
Nachdem die Frage ausgesprochen war, wurde ihr klar, dass sie vielleicht etwas taktlos geklungen hatte.
»Er ist nicht abgehauen«, erklärte Maura. »Sondern verschwunden. Sofort nach deiner Geburt.«
»Das versteht man im Allgemeinen unter abhauen.«
»Ich glaube nicht, dass er es geplant hatte. Na ja, das war natürlich schon mein erster Gedanke. Aber je mehr ich darüber nachdachte und mich mit Henrietta beschäftigte … Du bist ein sehr seltsames Kind. Mir ist noch nie jemand begegnet, der Wahrsagerinnen dabei helfen kann, besser zu hören. Ich bin nicht ganz sicher, ob wir nicht, ohne es zu merken, ein weiteres Ritual durchgeführt haben, als du geboren wurdest. Also, ein Ritual, dessen abschließender Schritt deine Geburt war. Vielleicht ist er dadurch wieder zurückgeschickt worden.«
»Du meinst also, es ist meine Schuld?«, rief Blue.
»Sei nicht albern«, erwiderte Maura und setzte sich auf. Ihre Haare waren wirr vom Liegen. »Du warst doch noch ein Baby – wie hätte irgendetwas davon deine Schuld sein können? Ich dachte nur, das wäre vielleicht eine Erklärung. Darum habe ich Neeve gebeten, mir bei der Suche nach ihm zu helfen. Ich wollte, dass du verstehst, warum ich sie hergeholt habe.«
»Wie gut kennst du sie eigentlich?«
Maura schüttelte den Kopf. »Pfft . Wir sind nicht gemeinsam aufgewachsen, aber hin und wieder haben wir uns mal getroffen, einen Tag hier, zwei Tage da. Wir sind nie Freundinnen gewesen, von echten Schwestern ganz zu schweigen. Aber ihr Ruf … ich hätte nie gedacht, dass das alles einen so seltsamen Lauf nehmen würde.«
Leise Schritte erklangen im Flur, dann stand Persephone in der Tür. Maura seufzte und starrte in ihren Schoß, als hätte sie damit gerechnet.
»Ich will nicht stören. Aber in drei oder sieben Minuten«, sagte Persephone, »halten Blues Aglionby-Jungs vor dem Haus und überlegen im Auto, wie sie sie überzeugen können, sich zu ihnen rauszuschleichen.«
Ihre Mutter rieb sich über die Haut zwischen ihren Augenbrauen. »Ich weiß.«
Blues Herz raste. »Das klingt jetzt aber wirklich mal konkret.«
Persephone und ihre Mutter wechselten einen verstohlenen Blick.
»Das ist noch so eine Sache, bei der ich nicht ganz ehrlich war«, sagte Maura. »Manchmal sind Persephone, Calla und ich ziemlich gut darin, Konkretes vorherzusagen.«
»Aber nur manchmal«, fügte Persephone hinzu. Und dann, etwas traurig: »In letzter Zeit allerdings immer öfter.«
»Alles verändert sich«, sagte Maura.
Eine weitere Gestalt erschien in der Tür. Calla sagte: »Dazu kommt, dass Neeve immer noch nicht wieder da ist. Und sie hat den Wagen lahmgelegt. Er lässt sich nicht starten.«
Sie hörten, wie ein Auto vor dem Haus hielt. Blue warf ihrer Mutter einen flehenden Blick zu.
Statt darauf zu reagieren, wandte sich ihre Mutter Calla und Persephone zu. »Sagt mir, dass wir falschliegen.«
Auf ihre sanfte Art antwortete Persephone: »Du weißt, dass wir das nicht können, Maura.«
Maura stand auf. »Na, geh schon«, sagte sie zu Blue. »Wir kümmern uns um Neeve. Ich hoffe, du weißt, was das für eine Riesensache ist, Blue.«
Blue sagte:
Weitere Kostenlose Bücher