Wen die Götter lieben: Historischer Roman (German Edition)
und vernichtet. Was ein Mann befehlen darf, hat Grenzen, ganz gleich, wie groß seine Macht ist. Niemand wird mit der Berechtigung zu herrschen geboren; er erwirbt sie durch das, was er aus sich macht. Vielleicht hast du diese Berechtigung einst besessen. Aber du hast dich von Schmeichlern und Intriganten in die Irre führen lassen. Du bist kein legitimer Herrscher mehr. Du bist ein Tyrann geworden. Es ist Zeit, dass du die Herrschaft aufgibst.«
Von allen Seiten wurde Empörung laut. Über die aufgeregten Rufe hinweg hörte ich Constantius mit angestrengter, schriller Stimme schreien: »Du wagst es, so mit uns zu sprechen!«
»Mein Leben ist bereits verwirkt«, erwiderte ich. »Darum höre es von mir, denn die anderen werden es dir nicht sagen. Du liegst im Sterben. Ich glaube nicht, dass einer von uns beiden den morgigen Tag noch erleben wird. Darum lass uns bei der Wahrheit bleiben. Julian hatte nicht den Wunsch, zu herrschen. Du hast es ihm aufgezwungen. Seine Feinde hier wollten ihn scheitern sehen. Als dies nicht geschah, flüsterten sie dir ein, er hätte sich gegen dich verschworen. Aber so war es nicht. Julian strebte nicht nach Macht, aber er strebt nach Gerechtigkeit. Und darum, so scheint mir, ist er ein besserer Herrscher als du.«
»Bringt ihn hinaus und köpft ihn!«, hörte ich Eusebius schreien. Und ich vernahm es mit Ruhe, denn ich war zu sterben bereit und hatte gesagt, was ich sagen wollte. Die junge Frau in dem grünen Kleid weinte. Tränen strömten ihr über die Wangen und glänzten im Lampenschein. Einer unserer Bewacher packte mich am Arm. Ich schüttelte ihn ab und blickte ruhig zu Constantius auf seiner Liege. Der schaute mich seltsam und verwundert an.
Dann machte er eine Handbewegung, und der Stimmenlärm endete. Der Bewacher ergriff erneut meinen Arm, doch Constantius sagte: »Lass ihn los.« Dann hob er den Arm von der seidenen Decke und nahm die Hand der trauernden Frau.
»Wir sind einsam gewesen«, sagte er leise. »Selbst unsere Gemahlinnen leben nicht lange. Wir hatten schlechte Träume.«
Zärtlich berührte er ihren Leib. »Ich werde mein Kind nicht sehen.«
»Nicht doch! Du wirst bald wieder gesund sein!« Das kam vom Oberkämmerer, und ein Chor von Stimmen pflichtete ihm bei.
»Du siehst«, sagte Constantius und blickte mir in die Augen, »selbst jetzt noch lügen sie mich an. Du hast recht: Julianwollte nie ein hohes Amt. Ich hätte ihn bei seinen Büchern lassen sollen, wo er zufrieden war. Vielleicht sollten gerade die Männer herrschen, denen die Macht gleichgültig ist, so sagen die Philosophen.«
»Julian ist ein Verräter«, warf der Oberkämmerer ein.
»Ist er das? Das behauptest du ständig. Und was bist du, Eusebius?«
Der Oberkämmerer wich erschrocken zurück. Constantius drehte den Kopf auf dem Kissen und schaute in das verzweifelte Gesicht seiner Gemahlin.
»Sie ist unschuldig«, sagte er.
Ich verstand nicht gleich, was er meinte. Aber dann erinnerte ich mich, wie er seine Herrschaft begonnen hatte – mit einem Blutbad unter Julians Familie und allen, von denen er annahm, sie könnten sich gegen ihn wenden.
»Ich glaube«, sagte ich, »jetzt weißt du, wie dein Vetter wirklich ist.«
Zuerst erwiderte er nichts, und in der Stille hörte man die Kaiserin leise weinen.
»Ja«, bekannte er schließlich und sah mich mit fiebrigen Augen an. »Ja, das weiß ich wohl.«
Wieder schwieg er. Dann sagte er: »Am Ende sind die großen Entscheidungen ganz einfach. Sag Julian, ich vertraue ihm meine Frau und mein ungeborenes Kind an. Ihm wurde Unrecht angetan, und das kann ich durch nichts wiedergutmachen. Lass ihn herrschen, obwohl es ihm widerstrebt. Ihm übertrage ich das Reich.«
»Nein!«, rief der Oberkämmerer. »Das darf nicht sein!«
»Genug! Ich habe gesprochen, und du wirst diesem Mann gehorchen. Lass es von den Schreibern niederschreiben, denn das ist mein Testament.« Dann sah er mich noch einmal an und fügte mit freundlicherer Stimme hinzu: »Und es ist zugleich meine Beichte. Wirst du Julian das sagen? Er wird es verstehen.«
»Ja, das werde ich.«
Constantius nickte.
Dann wandte er sich seiner Gattin zu und sagte: »Fürchte nichts, Faustina. Er ist ein Freund Julians. Er wird dich mit Achtung behandeln.«
Ich traf den Notar in seinem Pavillon an. Bei ihm war ein grau gekleideter Sklave, der Schriftrollen und andere Dokumente in eine Reisetruhe packte. Paulus saß an einem Klapptisch; vor ihm stand ein offenes Kästchen, in das er behutsam
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