Wen die Götter lieben: Historischer Roman (German Edition)
und mein Herz entflammte. Wen hatte sie, um ihn dem Lauf der Jahreszeiten und dem unerbittlichen Verrinnen der Zeit entgegenzustellen? Ich wusste, dass sie mich verabscheute, und wünschte, es wäre nicht so. Aber hassen konnte ich sie nicht; dafür hatte ich selbst zu viel Trauer und Einsamkeit erlebt.
Ich seufzte und beobachtete, wie mein Atem sich mit der kalten Luft vermischte. Mit dem Einsetzen der Abenddämmerung begann sich alles um uns her mit Reif zu überziehen. Jenseits der Pappeln zog die bleiche Sonnenscheibe den Wipfeln des Waldes entgegen, und der Abendstern stand weiß funkelnd am Himmel.
Ich wandte mich Marcellus zu, der die Altarflamme mit Wein aus einem Silberkrug löschte. Auf der anderen Seite der schwelenden Holzreste, im Gegenlicht, beobachtete ihn seine Mutter unter ihrem Schleier hervor. Plötzlich hob sie den Kopf. Zuerst glaubte ich, sie sähe mich an, weil sie meine Gedanken erratenhatte. Doch sie blickte an mir vorbei übers Land. Dann sagte sie mit ihrer glasklaren Stimme: »Wer sind diese Leute?«
Alle drehten sich um. In dem langen Schatten der Anhöhe kamen Reiter hintereinander den Weg herunter.
»Kommen sie etwa deinetwegen? Ausgerechnet heute, wo du dich um deine Familie zu kümmern hast?«
»Nein, Mutter, natürlich nicht«, antwortete Marcellus. Er reichte den Krug an Tyronius und verließ den Lichtkreis der Fackeln. Ich trat neben ihn. Unwillkürlich, mit der Gewohnheit des Soldaten, griff ich zur Hüfte, wo gewöhnlich mein Dolch hing. Doch ich war für Aquinus’ Begräbnis gekleidet, nicht für den Kampf. Mein Dolch lag in seiner geflochtenen Lederscheide auf dem Tisch an meinem Bett.
Leise, nur für meine Ohren bestimmt, sagte Marcellus: »Schau, sie sitzen im Sattel wie Soldaten, nur dieser schäbig aussehende Bursche nicht, der Zweite von vorn, der in dem braunen Mantel.«
»Wenn es Soldaten sind, kenne ich sie nicht. Warum sind sie nicht in Uniform? Und wieso kommen sie von Westen über die Felder und nicht von der Straße?«
Marcellus spähte zu den Reitern hinüber. »Sie wollen nicht gesehen werden. Sie haben nicht damit gerechnet, uns hier draußen im Freien anzutreffen.«
»Wir sind nicht bewaffnet«, sagte ich.
Marcellus nickte. »Ich weiß.«
Er warf einen raschen Blick über die Schulter zu der hohen Mauer, die das Haus umschloss, und schätzte die Entfernung ab. Die Mauer war errichtet worden, um in Zeiten wie diesen – Zeiten der Barbarei – ein kleines Heer aufzuhalten. Hinter dieser Mauer wären wir sicher gewesen. Doch die Reiter galoppierten bereits ins Tal.
Marcellus blickte mir in die Augen und machte eine kleine, zornige Geste. »Ich werde nicht davonlaufen wie ein Bauer vor Straßenräubern, schon gar nicht heute.« Damit drehte er sichzu den Hausdienern und Landarbeitern um. Diese waren unruhig geworden und starrten voller Furcht auf die nahenden Reiter. Mit erhobener Stimme sagte Marcellus: »Ruhe bewahren! Wie es aussieht, sind diese Männer Soldaten. Lasst uns abwarten, was sie wollen.«
Und so warteten wir. Was blieb uns anderes übrig? Ich zählte ungefähr dreißig Reiter und fragte mich, wie viele noch hinter dem Kamm verborgen sein mochten.
Im Tal angelangt, fächerten sie aus und machten Halt, blickten argwöhnisch zu uns herüber und berieten sich. Einer zeigte auf das Eichentor in der Mauer, worauf der Mann neben ihm nickte. Das Tor stand offen, seit wir Aquinus auf seinem letzten Weg hierhergeleitet hatten. Ein paar Augenblicke lang wirkten die Reiter ratlos, und ich wusste, dass nun der rechte Moment gewesen wäre, um anzugreifen, hätte ich eine Schar Bewaffneter bei mir gehabt. Doch die Reiter begriffen schnell, dass wir wehrlos und ihnen hier im Freien ausgeliefert waren.
Sie teilten sich auf. Einige schlugen die Richtung zum Haus ein. Die Übrigen – an die zwanzig Mann, angeführt von dem schäbigen Reiter, der sich so schlecht im Sattel hielt – ritten den Weg hinauf zu der Familiengruft, wo wir bei brennenden Fackeln um den Altar standen. Ich spähte angestrengt, um ihre Absichten von den Gesichtern abzulesen, und war auf Gewalttätigkeiten gefasst. Dann regte sich eine Erinnerung. Im Zwielicht der Dämmerung beschirmte ich die Augen gegen den Fackelschein und nahm den heruntergekommenen Reiter genauer in den Blick.
»Was denkst du?«, fragte Marcellus.
»Der Schäbige, der wie ein Sklave reitet … ich kenne ihn.«
Der Mann hatte sich die Kapuze über den Kopf gestreift, doch als er auf dem Weg eine Kehre nahm,
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