Wen küss ich und wenn ja, wie viele? - Lilias Tagebuch
kein möglichstfruchtbares Exemplar von Weibchen. Und er sei Tom und nicht irgendein Jungmännchen der Gattung Homo Sapiens.
Und er könne das Kuss-Chaos nicht mehr aushalten, er wolle jetzt mal eine Weile niemanden mehr küssen, sondern einfach mal seine Ruhe haben und über alles nachdenken.
»Um halb neun küsst du Jakob und um halb elf küsst du mich – ich komm da nicht mit.« Seine Stimme war leise und traurig, als er das sagte.
Als ich dann versuchte, ihm das mit Jake und mir aus meiner Sicht zu erklären, da unterbrach er mich und bat mich, nicht weiterzusprechen. Und dann sagte er den allerdümmsten und allerschlimmsten Satz der Menschheitsgeschichte: »Lilia, lass uns einfach erst mal Freunde bleiben. Ich brauch Zeit.«
10.30 Uhr Es klopft an meiner Zimmertür. Ach, lasst mich doch alle in Ruhe. Ich will nicht!
10.34 Uhr Tür geht auf. Klirren. Tür geht zu.
Mir egal. Ich guck gar nicht hin, ich schreib einfach weiter.
10.40 Uhr Was riecht denn da nach Kaffee?
Ui. Flocke. Frühstück. Danke, Bruder!
11.15 Uhr Flocke ist toll. Dana hat wirklich Glück mit ihm. Hier unser Gespräch:
Ich: »Flocke?«
Er: »Hmm.«
Ich: »Ich hab’s verbockt.«
Er: »Jep.«
Ich: »Ich dachte, ich kenn jetzt die Regeln. Und dann hab ich danach gespielt. «
Er: »Hmm. Vielleicht hast du da was verwechselt.«
Ich (schniefend): »Was denn?«
Er: »Es sind keine Spielregeln. Weil, es ist nämlich kein Spiel.«
Ich: Weine.
Er: Tätschelt meine Schulter.
Ich (völlig verschnupft): »Was denn dann für Regeln?«
Er: »Mehr solche wie ›Rechts vor Links‹ oder ›Überholverbot‹!«
Ich: »Hä?«
Er: »Na, Regeln, um Unfälle zu vermeiden.«
Ich: »Ach so. Ja. Kann sein. Ich glaub, ich hab gerade eine Massenkarambolage verursacht.«
Er: »Jupp.«
Ich: »Ich hab Tom vergrault.«
Er: »Wart’s ab.«
Ich (schluchzend, schnorchelnd, schluckend): »Wieso? Da muss ich nicht warten. Er hat’s doch gesagt. Und das ist ja auch klar. So jemanden wie mich kann doch keiner wollen. Ich hab getrickst und gespielt. Ich bin ein ganz mieses Stück.«
Er: »Ooooch, Lil. Krieg dich mal wieder ein. Du bist nicht mies. Nur ein bisschen verpeilt.«
Ich: heule auf.
Er (nimmt mich in den Arm): »Jetzt lass ihn einfach mal eine Weile in Ruhe. L’amour surmonte tout. Morgen ist auch noch ein Tag.«
Ach, Bruder. Ja, morgen ist auch noch ein Tag. Aber ein ganz doofer, bescheuerter, blöder Tag.
22.30 Uhr So! Jetzt geht es mir wieder besser. Haha!!!
Ich fühle mich tatsächlich in der Lage, morgen in die Schule zu gehen, die Sache mit Jakob zu beenden und dann mein neues Leben ganz ohne Männer zu beginnen. Ab jetzt ist nämlich alles anders! Das haben Maiken und ich eben beschlossen.
Wir haben die Tanzstunde geschwänzt, mit roten Karnickelaugen auf Maikens riesigem Sofa gekuschelt und die letzten Tage mal ganz kritisch und emotionslos analysiert. Das hilft.
Ich bin dabei zu dem Schluss gekommen, dass ich von Natur aus nicht für die Liebe geschaffen bin, denn ich verhalte mich im Liebesrausch nicht artgerecht. Statt mich eindeutig für ein bestimmtes Männchen zu entscheiden, neige ich zu Gefühlschaos und Kurzschlusshandlungen. Aber das ist nicht schlimm. Zum Glück gibt es für Menschen wie mich auch noch einen Plan B: Wir können mit geistiger oder körperlicher Arbeit für den Erhalt unserer Spezies sorgen. Es muss im Leben ja nicht immer nur um Fortpflanzung gehen.
Ich persönlich werde mich künftig stattdessen ganz der Wissenschaft widmen, nach dem Abi werde ich Biologie studieren und dann in die Forschung gehen.
Mein Forschungsgebiet steht auch schon fest und da geht es dann doch wieder um Fortpflanzung: Ich werde Methoden entwickeln, mit deren Hilfe sich Menschenweibchen ganz ohne Männchen vermehren können. Im Tierreich geht das! Mariechen aus Karlsruhe zum Beispiel hat vierzehn Kinder, dabei hat sie in ihrem ganzen Leben nie ein Männchen auch nur von Weitem gesehen. Die Bambushaidame im Naturkundemuseum pflanzt sich einfach ungeschlechtlich fort. Wasserflöhe können das auch, Blattläuse, Bienen, Eidechsen und Truthennen. Eine südamerikanische Ameisenart hat Männchen sogar komplett abgeschafft. Bei Menschen funktioniert das nicht. Noch nicht. Aber ich bin da dran.
Das ist nämlich eine gute Sache, nicht nur für mich. Ich bin ja nicht die Einzige mit diesem Problem. Maiken zum Beispiel ist ein ähnlicher Fall. Sie hat auch genug von Männern und will ihr Leben nun ganz der Musik weihen. Fall sich ihre
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