Wende
wissenschaftliche und technische Erkundungen, Galileo Galileis lebendige Dialoge zur Astronomie, Francis Bacons ehrgeizige Forschungsvorhaben, Richard Hookers Theologie. Es war fast so etwas wie ein Reflex, dass auch Werke, die anscheinend weit entfernt waren von jeglicher ästhetischen Ambition – Machiavellis Untersuchung politischer Strategien, Walter Raleighs Beschreibung von Guyana, Robert Burtons enzyklopädische Darstellung seelischer Krankheit –, in einer Weise ausgeführt wurden, die intensivstes Vergnügen erzeugte. Die sublimsten Zeugnisse des Strebens nach Schönheit jedoch waren die Künste der Renaissance – Malerei, Bildhauerei, Musik, Architektur, Literatur.
Auch wenn meine ganz persönliche Liebe Shakespeare galt und gilt, erschienen mir dessen Hervorbringungen stets als nur eine atemberaubende Facette einer viel breiteren kulturellen Bewegung, die auch Alberti, Michelangelo und Raphael, Ariost, Montaigne und Cervantes umfasst,
um unter vielen Dutzend Künstlern und Schriftstellern nur sie zu nennen. Diese Bewegung hatte viele miteinander verknüpfte, einander auch zuwiderlaufende Aspekte, die jedoch alle durchpulst waren von jener herrlichen Bestätigung und Feier der Lebenskraft. Sie prägt sogar solche Werke der Renaissancekunst, in denen der Tod zu triumphieren scheint. So verschlingt das Grab am Ende von Romeo und Julia die Liebenden weniger, als dass es ihnen eine Zukunft eröffnet als Verkörperung der Liebe schlechthin. In den hingerissenen Zuschauern, die seit über vierhundert Jahren in dieses Stück drängen, hat sich Julias Wunsch erfüllt:
Komm, milde, liebevolle Nacht! Komm, gib
Mir meinen Romeo! Und stirbt er einst,
Nimm ihn, zerteil in kleine Sterne ihn:
Er wird des Himmels Antlitz so verschönen,
Daß alle Welt sich in die Nacht verliebt
Und niemand mehr der eitlen Sonne huldigt.
(III.2:2–24)
Ein vergleichbar weiträumiges Umfassen von Schönheit und Lust – eines, das den Tod ebenso einbegreift wie das Leben, Vergehen nicht anders als Schöpfung – charakterisiert Montaignes ruhelose Reflexionen über Materie in Bewegung, Cervantes’ Chronik seines wirren Ritters, Michelangelos Darstellung geschundener Haut, Leonardos Skizzen von Wasserwirbeln, Caravaggios liebevolle Aufmerksamkeit für Christi schmutzige Fußsohlen.
Es muss etwas geschehen sein in der Renaissance, etwas, das anbrandete gegen die Dämme und Grenzen, die Jahrhunderte gegen Neugier, Begehren, Individualität, gegen nachhaltige Aufmerksamkeit für die Welt, gegen Ansprüche des Körpers errichtet hatten. Dieser kulturelle Umbruch ist bekanntlich schwer zu fassen, und um seine Bedeutung wurde erbittert gestritten. Doch lässt sich, was damals geschehen sein muss, leicht erspüren, wenn man in Siena die Maestà, Duccio di Buoninsegnas Altar mit der thronenden Jungfrau betrachtet, dann in Florenz Botticellis Primavera, ein Gemälde, in dem nicht zufällig Einflüsse von Lukrez’ De rerum natura zu erkennen sind. Es ist die Haupttafel von Duccios prächtigem Altar (um 1310), auf die sich die Anbetung der Engel, Heiligen und Märtyrer richtet:
das heiter ruhige Zentrum, die in schweres Tuch gekleidete Muttergottes und das Kind in feierlicher Kontemplation. Auf Botticellis Primavera (um 1482) dagegen versammeln sich die antiken Götter in einem üppig grünen Gehölz, alle bewusst eingebunden in die komplexe rhythmische Choreographie der sich erneuernden natürlichen Fruchtbarkeit, wie sie Lukrez’ Gedicht beschwört:
Frühling kommt und Venus, und ihnen voraus sind Venus’ geflügelter Bote und Mutter Flora, auf den Fersen folgt ihnen Zephyr, und sie bereiten der Göttin den Weg, verbreiten mit den Blumen herrliche Farben und Wohlgerüche.
(V:737ff.) 3
Worin Wechsel und Veränderung bestehen, erschließt sich nicht nur im wiedererwachten, intensiv erlebten, höchst kundigen Interesse an heidnischen Gottheiten und den reichen Bedeutungen, die einst mit ihnen verknüpft waren. Er liegt auch in der Gesamtvision einer Welt in Bewegung, einer sinnlichen Welt, die darum nicht bedeutungslos gemacht wird, sondern ihre Schönheit erst in ihrer Vergänglichkeit gewinnt, in ihrer erotischen Kraft, ihrem unermüdlichen Sich-Wandeln.
Auch wenn er sich in der Kunst am deutlichsten zeigt, so beschränkt sich der Übergang von einer Art der Wahrnehmung und des Lebens in der Welt zu einer anderen nicht auf Ästhetisches: Er hilft auch zu erklären, wie es zu den geistigen Wagnissen eines Kopernikus oder eines
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