Wendekreis des Krebses
einen Mann mit ins Hotel brachte, sogar als er da war. Sie brachte ihn ein Stockwerk tiefer. Ich sah es mit eigenen Augen. Und was für einen Mann! Ein altes Wrack! Er brachte keinen Ständer fertig!»
Wäre Fillmore nach seiner Entlassung aus dem Château nach Paris zurückgekehrt, hätte ich ihm vielleicht die Augen über seine Ginette geöffnet. Solange er aber noch unter Bewachung stand, hielt ich es nicht für angebracht, ihn dadurch zu beunruhigen, daß ich seine Gedanken durch Yvettes Schwätzereien vergiftete. Wie sich herausstellte, begab er sich vom Irrenhaus geradewegs in das Haus von Ginettes Eltern. Dort wurde er gegen seinen Willen dazu gebracht, seine Verlobung öffentlich bekanntzugeben. Das Aufgebot wurde in den Lokalzeitungen veröffentlicht, und den Freunden der Familie wurde ein Empfang gegeben. Fillmore machte sich die Sachlage zunutze, um in allen möglichen Eskapaden zu schwelgen. Obwohl er recht wohl wußte, was er tat, gab er vor, noch nicht ganz richtig im Kopf zu sein. So lieh er sich zum Beispiel den Wagen seines Schwiegervaters und gondelte ganz allein in der Gegend umher. Wenn er in eine Stadt kam, die ihm gefiel, machte er Station und ließ sich’s gut gehen, bis Ginette ihn suchen kam. Manchmal gingen der Schwiegervater und er zusammen weg – angeblich zum Fischen –, und man hörte tagelang nichts mehr von ihnen. Er wurde unberechenbar launisch und anspruchsvoll. Vermutlich sagte er sich, wenn es schon sein mußte, dann würde er wenigstens dabei soviel wie möglich herausschlagen.
Als er mit Ginette nach Paris zurückkehrte, besaß er eine völlig neue Garderobe und eine Tasche voll Geld. Er sah gesund und munter aus, seine Haut war von der Sonne gebräunt. Mir kam er kerngesund vor. Aber sobald wir außerhalb von Ginettes Reichweite waren, schüttete er mir sein Herz aus. Seine Stellung sei verloren und sein ganzes Geld verbraucht. In etwa einem Monat sollten sie heiraten. Inzwischen lieferten die Eltern die Pinke. «Wenn sie mich erst einmal richtig in den Klauen haben», jammerte er, «werde ich für sie nur noch ein Sklave sein. Der Vater denkt daran, mir einen Schreibwarenladen zu kaufen. Ginette soll die Kunden bedienen, das Geld kassieren usw., während ich hinten im Laden sitze und schreibe oder sonstwas mache. Kannst du dir vorstellen, daß ich für den Rest meines Lebens in einem Schreibwarenladen sitze? Ginette hält es für eine glänzende Idee. Sie geht gern mit Geld um. Lieber ginge ich ins Château zurück, als das mitzumachen.»
Vorläufig tat er freilich, als sei alles in bester Ordnung. Ich versuchte ihn dazu zu überreden, nach Amerika zurückzufahren, aber davon wollte er nichts hören. Er meinte, er wolle sich nicht von einer Handvoll ungebildeter Bauern aus Frankreich verjagen lassen. Ihm schwebte vor, eine Zeitlang aus ihrem Gesichtskreis zu verschwinden und dann in einem abgelegenen Stadtviertel eine Wohnung zu nehmen, wo er ihr nicht in die Arme laufen würde. Aber wir kamen bald zu dem Schluß, daß das undurchführbar sei: in Frankreich kann man nicht so verschwinden wie in Amerika.
«Du könntest eine Zeitlang nach Belgien gehen», schlug ich vor.
«Aber wo soll ich das Geld hernehmen», wandte er sofort ein. «Man kann in diesen verdammten Ländern keine Stellung bekommen.»
«Warum heiratest du sie nicht und läßt dich dann scheiden?» fragte ich.
«Inzwischen bekommt sie ein Kind. Wer soll für das Kind sorgen, he?»
«Woher weißt du, daß sie ein Kind bekommt?» fragte ich, überzeugt, daß jetzt der Augenblick gekommen sei, ihm die Augen zu öffnen.
«Woher ich das weiß?» fragte er. Er schien nicht ganz zu verstehen, worauf ich hinaus wollte.
Ich deutete ihm an, was Yvette gesagt hatte. Völlig verwirrt hörte er mir zu. Schließlich unterbrach er mich. «Es hat keinen Zweck, du brauchst gar nicht weiterzusprechen», unterbrach er mich. «Ich weiß genau, daß sie ein Kind bekommt. Ich habe gefühlt, wie es sich in ihr bewegt hat. Yvette ist eine gemeine kleine Schlampe. Weißt du, ich wollte es dir eigentlich nicht sagen, aber bis zu der Zeit, als ich ins Krankenhaus kam, bin ich auch für Yvette aufgekommen. Als dann der Zusammenbruch kam, konnte ich nichts mehr für sie tun. Ich hatte mir ausgerechnet, daß ich für beide genug getan hatte. Ich beschloß, erst einmal für mich selbst zu sorgen … Das ärgerte Yvette. Sie sagte Ginette, sie wolle mir das heimzahlen … Nein, ich wollte, es wäre wahr, was sie behauptet hat. Dann
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