Wendekreis des Krebses
keine Syphilis. Das war schon etwas. Um einen Anfang zu machen, pumpte man ihm erst einmal den Magen aus. Man unterzog seinen ganzen Organismus einer gründlichen Reinigung. Er war eine Zeitlang so schwach, daß er nicht aufstehen konnte. Auch war er deprimiert. Er sagte, er wolle nicht geheilt werden – er wolle lieber sterben. Er hörte nicht auf, diesen Unsinn so beharrlich zu wiederholen, daß sie schließlich besorgt wurden. Ich glaube, es wäre keine sehr gute Empfehlung gewesen, wenn er Selbstmord begangen hätte. Jedenfalls begann man ihn auf seinen Geisteszustand hin zu behandeln. Und in der Zwischenzeit zog man ihm die Zähne einen nach dem anderen, bis er keinen Zahn mehr im Mund hatte. Man nahm an, daß er sich danach besser fühlen würde, aber merkwürdigerweise war das nicht der Fall. Er wurde verzweifelter denn je. Und dann begannen seine Haare auszufallen. Schließlich steigerte er sich in eine paranoische Überspanntheit hinein, begann die Ärzte und Pfleger aller möglichen Dinge zu beschuldigen, verlangte zu wissen, mit welchem Recht er in Gewahrsam gehalten wurde, was er getan habe, das sie dazu berechtigte, ihn einzusperren usw. Nach einem schrecklichen depressiven Anfall konnte er plötzlich energisch werden und drohen, die ganze Bude in die Luft zu sprengen, wenn man ihn nicht freiließ. Und um die Sache noch schlimmer zu machen – wenigstens soweit das Ginette betraf –, war er ganz von seinem Heiratsversprechen abgerückt. Er erklärte ihr immer wieder rundheraus, daß er nicht die Absicht habe, sie zu heiraten, und wenn sie so wahnsinnig sein sollte, ein Kind zur Welt zu bringen, dann müßte sie selbst dafür aufkommen.
Die Ärzte legten das alles als ein gutes Zeichen aus. Sie meinten, er werde wieder normal. Ginette freilich dachte, er sei verrückter denn je, aber sie bat, man solle ihn entlassen, damit sie ihn aufs Land bringen könnte, wo es ruhig und friedlich war und er wieder zu Verstand kommen würde. Inzwischen waren ihre Eltern besuchsweise nach Paris gekommen und sogar so weit gegangen, den zukünftigen Schwiegersohn im Château aufzusuchen. Schlau wie sie waren, hatten sie sich vermutlich ausgerechnet, daß es für ihre Tochter besser sei, einen verrückten Mann als überhaupt keinen zu heiraten. Der Vater glaubte, für Fillmore eine Arbeit auf dem Hof finden zu können. Er meinte, Fillmore sei durchaus kein so schlechter Kerl. Als er von Ginette erfuhr, daß Fillmores Eltern Geld hatten, wurde er sogar noch duldsamer, noch einsichtsvoller.
Die ganze Angelegenheit entwickelte sich in jeder Hinsicht erfreulich. Ginette kehrte für eine Weile mit ihren Eltern in die Provinz zurück. Yvette kam regelmäßig ins Hotel, um Carl aufzusuchen. Sie hielt ihn für den Verleger der Zeitung. Und allmählich begann sie, Geständnisse zu machen. Als sie eines Tages einen ordentlichen sitzen hatte, erzählte sie uns, Ginette sei nie etwas anderes als eine Hure gewesen. Ginette sei eine Blutsaugerin, sie sei nie schwanger gewesen und auch jetzt nicht schwanger. Über die anderen Beschuldigungen hegten wir wenig Zweifel, aber was das Nichtschwangersein betraf, so waren wir nicht so sicher.
«Wie hat sie dann einen so dicken Bauch bekommen?» fragte Carl.
Yvette lachte. «Vielleicht nimmt sie eine Fahrradpumpe», meinte sie. «Nein, im Ernst», fügte sie hinzu, «der Bauch kommt vom Trinken. Sie säuft wie ein Loch. Wenn sie vom Land zurückkommt, werdet ihr sehen, daß sie noch dicker geworden ist. Ihr Vater ist ein Säufer. Ginette ist eine Säuferin. Mag sein, daß sie den Tripper hat, das ja – aber schwanger ist sie nicht.»
«Aber warum will sie ihn heiraten? Liebt sie ihn wirklich?»
« Lieben? Puh! Sie hat kein Herz, Ginette. Sie will nur jemanden, der sie versorgt. Kein Franzose würde sie jemals heiraten – sie wird polizeilich geführt. Nein, sie will ihn, weil er zu dumm ist, um ihr auf die Schliche zu kommen. Ihre Eltern wollen sie nicht mehr bei sich haben – sie ist eine Schande für sie. Aber wenn sie einen reichen Amerikaner heiraten kann, dann ist alles in Ordnung. Ihr glaubt vielleicht, sie habe ihn ein wenig lieb, was? Ihr kennt sie nicht. Als sie zusammen im Hotel wohnten, nahm sie Männer mit auf ihr Zimmer, während er bei der Arbeit war. Sie behauptete, er habe ihr nicht genug Taschengeld gegeben. Er sei geizig. Diesen Pelzmantel, den sie anhatte – erzählte sie ihm nicht, ihre Eltern hätten ihn ihr geschenkt? Armer Narr! Nun, ich habe gesehen, wie sie
Weitere Kostenlose Bücher