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Wendekreis des Krebses

Wendekreis des Krebses

Titel: Wendekreis des Krebses Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
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aus. «Es ist alles zu Ende», sagte er sofort. «Sie behaupten, ich sei verrückt, und vielleicht habe ich auch Syphilis. Sie sagen, ich leide an Größenwahn.» Er warf sich aufs Bett und weinte still vor sich hin. Nach einer Weile hob er den Kopf und lächelte – ganz wie ein aus dem Schlummer erwachender Vogel. «Warum legen sie mich in ein so teures Zimmer?» fragte er. «Warum stecken sie mich nicht ins Irrenhaus oder in eine Heilanstalt? Ich kann es mir nicht leisten, dafür zu zahlen. Ich bin bei meinen letzten fünfhundert Dollar angelangt.»
    «Eben darum behalten sie dich hier», sagte ich. «Sie werden dich rasch genug woanders hinlegen, wenn dein Geld zu Ende geht. Mach dir da keine Sorgen.» Meine Worte müssen ihn beeindruckt haben, denn ich hatte kaum zu Ende gesprochen, als er mir seine Uhr mit Kette, seine Brieftasche, seine Krawattennadel usw. übergab. «Heb das für mich auf», bat er. «Diese Hunde werden mir alles, was ich besitze, abnehmen.» Und dann begann er plötzlich zu lachen, eines jener unheimlichen, freudlosen Gelächter, das in einem den Glauben erwecken konnte, ein Mensch sei verblödet, ob er es nun wirklich war oder nicht. «Ich weiß, daß du mich für verrückt hältst», sagte er, «aber ich will wieder gutmachen, was ich getan habe. Ich will heiraten. Verstehst du, ich wußte nicht, daß ich den Tripper hatte. Ich hängte ihn ihr auf und schwängerte sie noch dazu. Ich sagte dem Arzt, es sei mir gleichgültig, was mit mir wird, aber ich wolle, daß er mich erst einmal heiraten läßt. Er versichert mir immer wieder, ich solle warten, bis es mir besser geht – aber ich weiß genau, daß es nie wieder besser mit mir wird. Das ist das Ende.»
    Ich konnte mir nicht helfen, ich mußte lachen, als ich ihn so sprechen hörte. Ich konnte nicht begreifen, was mit ihm geschehen war. Jedenfalls mußte ich ihm versprechen, das Mädchen aufzusuchen und ihr die Sache zu erklären. Er wollte, daß ich bei ihr bleiben und sie trösten sollte. Versicherte, er könnte mir vertrauen usw. Ich sagte zu allem ja und Amen, um ihn zu beruhigen. Er schien mir nicht eigentlich wahnsinnig zu sein, nur eben etwas übergeschnappt. Typisch angelsächsische Krise. Ein Moralausbruch. Ich war recht neugierig, das Mädchen kennenzulernen, eine Erklärung für die ganze Geschichte zu erhalten.
    Am nächsten Tag suchte ich sie auf. Sie wohnte im Quartier Latin. Sobald sie erfuhr, wer ich war, wurde sie äußerst freundlich. Sie hieß Ginette. Sie war ziemlich groß, derbknochig, ein gesunder Bauerntyp mit einem zur Hälfte abgebrochenen Schneidezahn. Voll Lebenskraft, und eine Art Wahnsinn flammte in ihren Augen. Zuerst weinte sie. Dann, als sie merkte, daß ich ein alter Freund ihres Jo-Jo war, wie sie ihn nannte, lief sie hinunter und kam mit zwei Flaschen Weißwein zurück. Sie bestand darauf, daß ich dableiben und mit ihr essen sollte. Beim Trinken wurde sie abwechselnd lustig und weinerlich. Ich brauchte ihr keine Fragen zu stellen, sie legte los wie eine aufgezogene Maschine. Am meisten beunruhigte sie die Frage, ob er nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus wieder seine alte Stellung bekommen würde. Sie erzählte mir, ihre Eltern seien gut gestellt, aber mit ihr verkracht. Sie billigten ihren wilden Lebenswandel nicht. Besonders mit ihm seien sie nicht einverstanden – er habe keine Manieren und sei Amerikaner. Sie drang in mich, ihr zu versichern, daß er seinen Posten wiederbekommen würde, was ich ohne Zögern tat. Dann bat sie mich, ihr zu sagen, ob sie seinen Worten glauben dürfe – nämlich, daß er sie heiraten wollte. Denn jetzt, mit einem Kind unterm Herzen und noch dazu einem Tripper, sei es für sie nicht möglich, einen anderen Mann zu heiraten, jedenfalls keinen Franzosen. Das war doch klar, nicht wahr? Freilich, bestätigte ich ihr. Es war mir alles höllisch klar, außer wie um aller Heiligen willen Fillmore sich in sie vergafft haben konnte. Doch alles zu seiner Zeit. Jetzt war es meine Pflicht, sie zu trösten. Ich redete ihr also zu, versicherte ihr, daß alles gut ausgehen und ich den Taufpaten bei dem Kind machen würde usw. Dann plötzlich fiel mir als merkwürdig auf, daß sie das Kind überhaupt bekommen wollte, zumal es wahrscheinlich blind geboren werden würde. Ich sagte ihr das so taktvoll wie möglich. «Es ist mir gleich», meinte sie. «Ich will ein Kind von ihm.»
    «Auch wenn es blind ist?» fragte ich.
    «Mon Dieu, ne dites pas ça!» stöhnte sie. «Ne dites pas

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