Wendland & Adrian 02 - Die Krypta
habe ich, wie Sie wissen, Ihr Bestreben, den Eifelwildpark zu einem ökologischen Bildungs- und Forschungszentrum weiterzuentwickeln, stets uneingeschränkt unterstützt. Für das Renommee eines solchen Projektes ist jedoch absolute wissenschaftliche Seriosität erforderlich. Es kann nicht angehen, dass Sie nun, nachdem die beantragten Mittel vom Kreistag endlich bewilligt wurden, Ihre Funktion als Parkleiterin dazu missbrauchen, absonderliche esoterische Ideen zu propagieren, die jeder wissenschaftlichen Grundlage entbehren. Immerhin wird Ihre Arbeit aus Steuergeldern finanziert, für deren ordnungsgemäße Verwendung ich den Kreistagsfraktionen Rede und Antwort stehen muss. Da Sie sich in unserem Gespräch uneinsichtig zeigten, untersage ich Ihnen hiermit bis auf weiteres alle öffentlichen Stellungnahmen und ebenso die Durchführung so genannter >schamanischer Seminare< auf dem Gelände des Wildparks. Sollten Sie diese Dienstanweisung missachten, müssen Sie mit den entsprechenden Konsequenzen rechnen. Hochachtungsvoll...«
Warum musste Chris auch so dickköpfig sein? Dabei hatte sie sich so gefreut, als sie ihr vor einem Jahr die Stelle als Parkleiterin gegeben hatten. Sie wurde nicht üppig, aber doch ordentlich bezahlt, und zusätzlich erhielt sie diese große, bequeme Dienstwohnung hier im herrlichen alten Forsthaus. Dann hatte sie wie eine Löwin dafür gekämpft, dass der Kreis den Parketat aufstockte, damit der Park als ökologisches Schulungszentrum genutzt werden konnte. Nachdem es ihr endlich gelungen war, die schwerfälligen Kommunalpolitiker zu überzeugen, hätte sie hier wunderbar arbeiten können, doch was tat sie stattdessen? Jetzt war schon das dritte Zeitungsinterview erschienen, in dem sie freimütig über die Rituale berichtete, die sie praktizierte, und über ihr »schamanisches Weltbild«. Und mit den vom Kreistag bewilligten Geldern veranstaltete sie im Park Seminare, die sie »Heilungszeremonien für den Alltag« nannte, oder »mit Pflanzen und Tieren sprechen«! Wenn sie so weiter machte, war die Kündigung nur noch eine Frage der Zeit.
Das Telefon klingelte. Jonas ging in die Diele und hob den Hörer ab. »Jonas? Hier ist Susanne Wendland. Wie geht's?«
»Wir sind ziemlich eingeschneit, würde ich sagen«, brummte er.
»Ach so? Ist Chris da?«
»Stapft draußen im Schnee herum. Vermutlich redet sie gerade mit einem Reh oder einer Blaumeise.«
Susanne lachte. »Damit muss man bei ihr ja immer rechnen, stimmt's?« Offenbar hatte sie den bitteren Unterton in Jonas' Worten bemerkt, denn nach einer kurzen Pause fügte sie hinzu: »Sag mal, habt ihr Krach?«
»Ist halt manchmal nicht so einfach, mit einer Schamanin zusammenzuleben.«
Als er dann fragte: »Was gibt's denn?«, klang seine Stimme schroff und abweisend, obwohl er das gar nicht beabsichtigt hatte.
»Sag Chris bitte, dass sie mich unbedingt gleich zurückrufen soll. Ist ziemlich wichtig. Ich bin noch im Präsidium. Meine neue Durchwahl hat sie ja.«
Nach dem Anruf zog sich Jonas die Schuhe an. Es war ohnehin Zeit, sich für den Dienst vorzubereiten. Einen Moment erwog er Chris einen Zettel neben des Telefon zu legen, beschloss dann aber sie doch lieber draußen zu suchen. Susannes »ziemlich wichtig« hatte wirklich ziemlich wichtig geklungen. Eigentlich seltsam, dass die beiden so dicke Freundinnen geworden waren - verschiedener als sie konnten Frauen doch kaum sein. Chris hatte sich bei den Sträuchern am Waldrand herumgetrieben und steuerte bereits wieder auf das Haus zu. Jonas ging ihr entgegen.
»Und ... was haben die Bäume dir zugeflüstert?«, fragte er.
»Ein Eichhörnchen ist gekommen und hat sich von mir streicheln lassen. Sie spüren, wenn's mir nicht gut geht, und dann kommen sie, um mich aufzumuntern.«
»Mit mir reden sie nicht«, sagt Jonas.
Chris schüttelte den Kopf. »Du versuchst es ja auch gar nicht wirklich. Du sperrst dich dagegen.«
Jonas wollte zu einer bissigen Erwiderung ansetzen, sagte dann aber nur: »Susanne bittet dich um Rückruf. Ihre neue Durchwahl im Präsidium kennst du ja offenbar.«
Chris' Gesicht hellte sich sofort auf. »Oh! Ich ruf sie gleich mal zurück!«
Jonas sah ihr nach, wie sie zum Haus stapfte. Ihr Gang hatte sich verändert, wirkte breitbeinig und schwerfällig. Jonas mochte mollige Frauen, aber er fand, dass Chris es in letzter Zeit mit dem Essen wirklich übertrieb. Wenn sie so weitermachte, würde sie bald richtig dick und behäbig sein. Seltsamerweise wurde
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