Wenn alle Schranken fallen
heruntergekommenen Farm zusammen mit seiner Mutter und Tochter leben.
Lydia gelangte zu der Erkenntnis, dass es nur eine Lösung gab. In den kommenden Wochen musste sie endlich wieder ihr Leben in den Griff bekommen.
Ohne Gordon Cameron.
7. KAPITEL
L ydia schaltete den tragbaren Fernseher auf dem Küchentresen ab und beobachtete am Fenster die vorüberziehenden grauen Wolken, die die Morgensonne verdeckten. Laut Wettervorhersage würde sich der Regen am späten Nachmittag in leichten Schnee verwandeln. Ein Grund mehr, sich fertig zu machen und vor der Mittagszeit zur Farm zu fahren. Bei dem Februarwetter in Mississippi durfte man sich auf kein Risiko einlassen. Es konnte unberechenbar sein.
Seit mehr als sechs Wochen hatte sie Gordon nicht gesehen. Heute aber musste sie ihm gegenübertreten. Lydia wusste, dass es andere Möglichkeiten gab: Sie könnte Riverton verlassen, dann würde niemand etwas erfahren. Oder sie könnte ihr Geheimnis bewahren – vielleicht für immer.
Überraschenderweise hatte Eloise Gordons Besuch am Neujahrstag verschlafen, und endlich war das Gerede über Lydia und Gordon verstummt. Offenbar wusste niemand in Riverton, was am Neujahrsmorgen passiert war. Bis auf den mysteriösen Anrufer, der sich am zweiten Januar gemeldet und ihr erklärt hatte, ihr Verhältnis mit einem armseligen, hinterwäldlerischen Farmer sei ein großer Fehler, den sie noch bitter bereuen würde.
Was würde erst geschehen, wenn der Anrufer ihr Geheimnis herausfand?
Nach ihrer stürmischen Nacht mit Gordon entschloss sich Lydia, einen neuen Kurs in ihrem Leben einzuschlagen. Jeder Tag war ein Schritt in die Zukunft. Mehr als die Hälfte von Tylers Erbe spendete sie wohltätigen Zwecken, einen anderen Teil nutzte sie zum Aufbau ihres Innenarchitekturstudios. Anfangs wollte sie von zu Hause aus arbeiten, und sie besaß bereits zwei Klienten: ein jung verheiratetes Paar, das sein erstes Heim einrichtete, und ein Anwalt mit seiner Frau, die gerade ihr Haus renovierten.
Bei ihrem Gang durchs Wohnzimmer warf Lydia einen Blick auf den Schreibtisch in der Zimmerecke. Tapeten-, Teppich- und Farbmuster waren fächerförmig arrangiert, der Stapel Musterbücher lehnte an der Wand, und das Adressbuch der Großhändler lag griffbereit neben dem Telefon.
Lydia starrte auf das Telefon, als wäre es eine giftige Schlange. Wähl die Nummer! befahl sie sich. Ruf ihn an und sag ihm, dass du ihn sprechen musst – heute! Zögernd wählte sie und wartete auf das Läuten.
Sie hielt den Hörer fest umklammert und sog beruhigend den Atem ein. Als Ruth sich meldete, warf Lydia mit bebenden Fingern den Hörer auf die Gabel. Nein. Sie konnte nicht am Telefon mit Gordon reden, sondern musste ihn persönlich aufsuchen.
Was zum Teufel machte der blaue BMW in seiner Einfahrt?
Gordons Finger verkrampften sich um das Lenkrad seines Kleinlasters. Am Morgen nach ihrer Liebesnacht hatte Lydia ihm unmissverständlich erklärt, sie wolle ihn nie wiedersehen. Die sechs Wochen, die seither vergangen waren, waren die längsten sechs Wochen seines Lebens gewesen.
Du kannst nicht den ganzen Tag im Wagen sitzen bleiben, ermahnte sich Gordon. Früher oder später musst du ihr gegenübertreten. Vielleicht war sie ja überhaupt nicht seinetwegen gekommen, sondern Glenn Haraway hatte sie hergeschickt, damit sie mit Ruth über den Verkauf des Grundstücks an der Cotton Row sprach.
Angeblich sahen sich die beiden häufig, und die Leute schlossen sogar schon Wetten darauf ab, wann Lydia den neuen Bürgermeister heiraten würde. Allein der Gedanke daran, wie Haraway Lydia anfasste, ließ Gordons Blutdruck in die Höhe schießen.
Zweifellos war Glenn im Gegensatz zu Gordon ein standesgemäßer Ehemann. Trotzdem – seinen letzten Cent würde er darauf verwetten, dass sie mit ihrem Nachbarn noch nicht geschlafen hatte!
Hagel prasselte Gordon ins Gesicht, sobald er die Autotür öffnete. Schnell lief er die Verandastufen hinauf. Vor der Hintertür blieb er stehen. Wie es aussah, unterhielt sich seine Mutter mit ihrem Gast in der Küche.
“Ah, da bist du ja”, stellte Ruth fest, als Gordon die Hintertür aufstieß. “Ich wollte gerade jemanden zu dir auf die Felder schicken.”
In aller Ruhe putzte er die Schuhe an der Fußmatte ab und legte Hut und Jacke ab.
“Mach zu, Junge!” Ruth stand auf, nahm einen Keramikbecher von der Anrichte und goss ihm Kaffee ein. “Mrs Reid wartet schon fast eine Stunde auf dich.”
Nur zögernd drehte Gordon sich um.
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