Wenn alle Schranken fallen
rennt mit dem Priester davon!”
Lydia zitterte beim Anblick von Bens vernarbtem Gesicht. Noch nie hatte sie solch eine Qual oder solch erbitterten Zorn gesehen. “Du liebe Güte.” Sie fühlte sich von ihrer Schwägerin verraten, denn von einem anderen Mann war keine Rede gewesen.
“In der Stadt war ich schon. Sie sind wirklich weg. Sein Auto ist verschwunden, und das Haus war dunkel.” Ben stieß den Couchtisch um, der Stapel Zeitungen fiel auf den Boden. “Wenn ich die erwische, bringe ich sie alle beide um.”
“Das meinst du doch nicht ernst”, beruhigte Gordon seinen Bruder. “Aus dir spricht deine Wut. Glaub mir, ich muss es wissen. Als ich Macie in der Scheune mit Donnie Finch erwischt habe, wollte ich sie töten. Aber sie waren es nicht wert.”
“Sieht so aus, als wären die Cameron-Brüder Versager bei der Wahl ihrer Frauen. Macie war nichts als ein erstklassiges Flittchen, und jetzt macht sich Tanya mit einem Priester davon. Ausgerechnet ein Priester!” Bens gequältes Lachen hallte durchs Haus, während er mit den Fäusten gegen die Wandvertäfelung hämmerte.
“Was soll denn der Lärm?” In geblümtem Baumwollnachthemd und Morgenmantel stand Ruth im Türrahmen. “Ben?”
“Tanya ist weg.” Lydia stand auf und ging zu ihr. “Sie ist mit Reverend Charles durchgebrannt und hat Ben nur eine Nachricht hinterlassen.”
“Ich wusste, so etwas würde irgendwann passieren.”
“Sag nichts, Ma.” Ben hob abwehrend die Hände, als wolle er sich seine Mutter vom Leib halten.
“Das ist kein Weltuntergang, mein Sohn. Du und Tanya habt von Anfang an nicht zusammengepasst, genau wie Gordon und Macie. Die Zeit wird deine Wunden heilen, und dann findest du die Richtige.”
“So wie mein großer Bruder?” Er warf Lydia einen verächtlichen Blick zu. “Sie mag schwanger sein, aber an Gordons Stelle würde ich mich fragen, wer der Vater ist. Jede Wette, dass es von Haraway ist. Anscheinend kann sie sich von ihm nicht fernhalten.”
Lydia sah den Schmerz und das Misstrauen in Gordons Augen. Nicht jetzt! flehte sie leise. Lass ihn nicht wieder zweifeln, wo wir endlich Fortschritte in unserer Beziehung gemacht haben.
“Wovon zum Teufel spricht er?”, wollte Gordon wissen.
“Ich spreche von der Tatsache, dass sie jedes Mal auf dem Weg in die Stadt bei Haraway vorbeifährt. Manchmal bleibt sie stundenlang.” Hasserfüllt schaute Ben Lydia an.
“Halt den Mund, Ben Cameron!” Ruth versetzte ihrem jüngeren Sohn eine schallende Ohrfeige. “Lydia besucht Eloise Haraway. Zwischen ihr und Glenn ist nichts.”
“Wenn du das glaubst, Gordon”, höhnte Ben und rieb seine brennende Wange, “dann bist du ein noch größerer Idiot als ich.”
“Es ist Zeit, dass du mit mir kommst.” Energisch packte Ruth ihn beim Arm und zog ihn auf die Veranda.
Lydia wandte sich zu Gordon um. “Ich … ich habe mehrmals versucht, dir von den Besuchen zu erzählen, aber du … du …”
“Ich habe dir befohlen, dich von Haraway fernzuhalten!” Er legte ihr die Hände auf die Schultern. “Ich dachte, ich könnte dir vertrauen. Nie hätte ich geglaubt, dass du mich anlügen würdest.”
“Ich habe dich nicht belogen.” Tränen traten ihr in die Augen.
“Hinter meinem Rücken triffst du dich mit Haraway.”
“Das stimmt nicht. Ich …”
Gordons Finger bohrten sich schmerzhaft in die zarte Haut ihres Oberarms. “Ich werde nicht mit einer Frau zusammenleben, der ich nicht vertrauen kann. Du bist in mein Leben gekommen und hast es völlig auf den Kopf gestellt. Meine Tochter liebt dich, du hast den Respekt meiner Mutter gewonnen. Dabei hast du die ganze Zeit gelogen und betrogen …”
“Sag nichts mehr”, schrie Lydia und hielt sich die Ohren zu. “Du bist aufgebracht wegen Ben und Tanya. Du erinnerst dich an all die Jahre mit Macie. Wieder lässt du mich für das Benehmen einer anderen Frau büßen.”
Gordon ließ sie los, drehte ihr den Rücken zu und ballte die Hände zu Fäusten. “Ihr seid alle gleich. Alle wie ihr da seid. Süß, sanft und willig. Ihr macht einen Mann verrückt, bis er euch begehrt und sich verliebt. Und dann stoßt ihr ihm ein Messer zwischen die Rippen.”
Lydia streckte beschwörend die Hand aus. “Bitte sag nicht solche Sachen. Du meinst sie nicht ernst. Morgen wirst du sie bedauern.”
“Was ich bedauere, ist, dich geheiratet und in mein Leben und das Leben meiner Tochter gelassen zu haben. Aber du bist schwanger, und jetzt hab ich dich am Hals.”
“Nein,
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