Wenn Blau im Schwarz ertrinkt (Teil 1)
daran. „Was ist das? Scotch?“
„Bourbon. Los, runter damit.“
Außerstande sich dieser Aufforderung zu widersetzen, kippte sie das großzügig gefüllte Glas in einem Zug hinunter, sodass sich die Flüssigkeit in einer einzigen warmen Wolke in ihr ergoss. Es brachte ein deutliches Gefühl für die Grenzen ihres Körpers zurück, jedoch brannte der Alkohol auch ordentlich im Hals und drückte ihr Tränen in die Augen.
Ein schiefes Grinsen zog sich über Nikolajs Mund. „Die Freuden des Alkohols scheinen nicht die deinen zu sein. Warum nur, hab ich so etwas geahnt … Nun, sieh´s einfach als gut potenzierte Medizin an. Gänzlich verschreibungsfrei.“
Das Gesicht immer noch verzogen, mühte sie sich ein Lächeln ab. „Verschreibungsfrei vielleicht. Aber wohl nicht gänzlich ohne Nebenwirkungen, oder?“
Er strich ihr sanft das Haar über die Schulter ehe er in unüberhörbar besorgtem Tonfall fragte: „Ist alles in Ordnung? Geht’s dir gut?“
Überfordert sah sie ihn an, dann verschwamm ihr Blick ins Leere. Das waren zwei wirklich gute Fragen. War alles in Ordnung? Ging es ihr gut? Diese Nacht war verrückt. Verrückt auf unzählige Arten. Die beiden Männer hatten sich an ihr vergehen wollen – hatten es jedoch nicht. Sie war heil davongekommen, war in Sicherheit. Die Männer hatten mit ihrem Leben bezahlt. Bezeichnete man das als „in Ordnung“?
Sie fühlte sich berauscht, fühlte sich ambivalent zwischen zig Gefühlen. Zwar hatte sie keine Wunden oder Verletzungen davongetragen – zumindest keine sichtbaren –, doch fühlte sie sich wie niedergeprügelt und auseinandergenommen. Und gerade, in diesem Augenblick, befand sie sich eine handbreit von Nick entfernt, hielt sich in dessen Wohnung auf. Hieß das, dass es ihr gut ging?
Sie wusste nicht, was genau sie antworten sollte, also sprach sie mehr ihre Gedankenfetzen aus: „Das war viel heute Nacht … sehr viel auf einmal … Ich hatte eine anstrengende Schicht im Krankenhaus … Frau Clarkson von Zimmer 347 hat mal wieder gegen ihre Medikamente rebelliert … hat die halbe Station damit aufgeweckt … Und auf dem Heimweg … diese Kerle … ich hab´s geahnt, aber ich dachte, ich schiebe nur Paranoia … Er war … so stark … Ich konnte nicht … Jetzt sind beide tot … Und du … du bist es wirklich … du sitzt wirklich hier neben mir und ich bilde mir das nicht nur ein.“ Sie hielt kurz inne. „Und Nick … du hast sie beide umgebracht.“
„Ich weiß.“ Mehr sagte er nicht. Doch hinter diesen zwei Worten lag weit mehr verborgen, als er ihr gegenüber aussprach. In diesem Moment jedoch konnte sie nicht greifen, was es war, das in ihm vorging. Außer, dass es weit mehr war, als er ihr offenbarte.
Stumm musterte sie den fremden Mann, der ihr trotz der langen Trennung so vertraut vorkam, als würde allein seine Anwesenheit allen Zellen ihres Körpers ein Update verpassen und eine Verbindung herstellen, die sie beide im gleichen Takt ankommen ließ. Zwar war Nikolaj schon immer jemand gewesen, der nicht freizügig mit seinen Gefühlen und Gedanken hausieren ging, sondern viel mit sich selbst ausmachte, aber dennoch hatte sie oftmals zu sagen gewusst, was er gefühlt oder gedacht hatte. Oder mehr, dass er nicht gedacht und gefühlt hatte, was er nach außen hin preisgegeben hatte. Vielleicht rührte dieses Wissen aus eben jener taktvollen Verbindung, und möglicherweise konnte nicht nur sie, sondern auch Nikolaj es empfinden. Denn auch er schien oftmals gewusst zu haben, was sie gedacht hatte, noch ehe sie es laut ausgesprochen hatte. Vielleicht konnte er sie ebenso fühlen und daher die Töne ihrer Gedanken und Gefühle wahrnehmen, noch ehe sie an die Außenwelt gedrungen waren.
Seit jenem Tag auf dem Spielplatz war es so gewesen. Von diesem Tag an, hatten sich ihre Leben miteinander verwoben und das ließ sich nicht mehr rückgängig machen oder ändern. Auch wenn ihre Eltern genau das versucht hatten. Sie hatten versucht, das Band zwischen ihnen zu zerschneiden, indem sie sie mehr oder weniger entführt und von ihm fortgebracht hatten. Sie hatten ihre Freundschaft, ihre besondere Verbindung, nie verstanden. Sie hatten
Angst
vor ihm gehabt.
Da sie bei diesem Kontaktverbot nicht freiwillig mitgespielt hatte, war sie durch einen Urlaub, der sich schließlich als getäuschter Umzug entpuppt hatte, aus der Stadt gebracht worden. Sie hatte also keinerlei Möglichkeit gehabt, Nikolaj zu sagen, wo sie
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