Wenn das Dunkle erwacht (German Edition)
Körper geradezu riechen, das Erwachen ihrer uralten Blutlinie. Jetzt war sie noch nicht vollständig erwacht, aber es zeichnete sich schon ab.
Was wiederum bedeutete, dass ein kürzlich befreiter Casus ihr wahrscheinlich schon auf den Fersen war, wodurch Quinns Aufgabe von einem gefährlichen Job zu einem … tödlichen wurde. Zwar gab es noch sehr viel, das die Watchmen nicht wirklich verstanden, aber sie glaubten fest daran, dass das Erwachen der Merricks von der Präsenz eines Casus ausgelöst wurde. Die Casus waren übernatürliche Monster, die nach den Merricks jagten, und zwar sowohl um Macht aus ihren Körpern zu saugen, als auch um Rache zu üben. Die unsterblichen Casus, seit Jahrhunderten eingekerkert wegen ihrer Massenmorde an allen, die sie erwischen konnten, hatten schließlich doch noch einen Weg gefunden, aus ihrem Gefängnis zu fliehen und zurück in diese Welt zu kommen. An Zahl waren sie noch nicht viele, aber Quinn und die anderen Watchmen waren voller Sorge, was da noch auf sie zukommen könnte.
Er nahm einen weiteren Schluck Bier, beobachtete Saige aus den Augenwinkeln und fragte sich, wie viel sie wohl wissen mochte. Was machte sie überhaupt hier in Südamerika? Hatte sie die geringste Ahnung, dass die Casus hinter ihr her waren? Und wo zum Teufel steckte der Watchman Paul Templeton?
Templeton hatte in den vergangenen Monaten auf Saige aufpassen sollen, aber als sie ihn aufforderten, sie sofort zurück in die USA zu bringen, hatte er nicht geantwortet. Entweder hatte Templeton sich unerlaubt verzogen, was niemand glauben wollte, oder er war bereits dem zum Opfer gefallen, was sich offenbar zu einem tödlichen Krieg ungeheuren Ausmaßes auswachsen sollte.
Da die Umstände nun mal so waren – nämlich kilometertief in der Scheiße und rasch weiter sinkend –, musste Quinn so schnell wie möglich zu Werke gehen. Er musste rasch handeln. Sofort. Aber irgendetwas hielt ihn zurück. Hielt ihn hier an dieser schmierigen Theke fest, während sein ganzer Körper vor heißer, wütender Ruhelosigkeit vibrierte. Als jemand zufällig einen Stuhl umstieß, drehte Saige sich nach dem Lärm um und enthüllte die Verletzlichkeit ihrer Kehle. In diesem Augenblick überkam Quinn eine zu lange unterdrückte Gier, die tierische Seite seiner Natur regte sich. Er trank kein Blut, so wie die Merricks das taten, trotzdem sehnte er sich danach, seine Zähne in diesem zarten Hals zu versenken und gleichzeitig so tief in sie zu stoßen, wie er nur konnte.
Als ob sie sein intensives Starren gespürt hätte, hob sie eine Hand und bedeckte die zarte Beuge ihres Halses. Dann fuhr sie plötzlich auf ihrem Stuhl herum, ließ den Blick durch den ganzen Raum gleiten, und Quinn drehte sich schnell zur Wand, mit dem Rücken zu ihr. Seine Finger umklammerten die Flasche, sein Griff zerdrückte beinahe das Glas.
Hatte er denn vollständig den Verstand verloren? Bald könnte die Hölle losbrechen, und er hockte hier mit einem warmen Bier und verzehrte sich vor einer Lust, die ihm nichts als Ärger einbringen würde. Für so einen Mist hatte er überhaupt keine Zeit.
Schieb es nicht dauernd hinaus, verflucht, sondern leg endlich los.
Entschlossen drehte er sich wieder um und beobachtete, wie sie etwas zu dem Jungen sagte, aufstand und zur Theke ging. Sie redete mit dem kleinen, dauernd lächelnden Mann hinter der Theke, als Quinn sich neben sie stellte und seine Flasche austrank. Sie wandte sich ihm zu und betrachtete ihn aus diesen tiefen, dunkelblauen Augen, deren Farbe genauso faszinierend war wie die glänzende Vollkommenheit ihrer Haut, und in derselben Sekunde wusste er, dass sie etwas gemerkt hatte.
Quinn stellte die leere Flasche auf die Theke und wollte sich gerade vorstellen, als sie danach griff. Ihre Finger schlossen sich um den Flaschenhals, und er fragte sich, was sie damit vorhatte, als das wachsame Unbehagen in ihrem Gesicht plötzlich purer Panik wich. Bevor er irgendetwas tun konnte, zerschmetterte sie die Flasche auf seinem Kopf. Eine Scherbe riss ihm die Haut über der rechten Augenbraue auf, ein Blutstrom ergoss sich über sein Blickfeld.
Verdammt noch mal.
Sofort rannte sie los, rief dem Jungen etwas auf Portugiesisch zu, als dieser zur Vordertür hinausstürmte. Saige rannte in die andere Richtung, schnappte sich ihren Rucksack, der auf dem Tisch lag, und verschwand durch die Hintertür, hinter der sich der Dschungel ausbreitete.
Fluchend schmiss Quinn ein paar Scheine auf die Theke und folgte ihr.
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