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Wenn das Schlachten vorbei ist

Wenn das Schlachten vorbei ist

Titel: Wenn das Schlachten vorbei ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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andere ein Jungtier. Beide haben keine Augen mehr, rote Krater klaffen in ihren Köpfen, die Mäuler stehen offen, die Bäuche sind aufgerissen, so dass die bäulichgrauen Eingeweide heraushängen. Das Fell besteht aus schwarzen Borsten, die sich bewegen, weil das Fleisch von Maden wimmelt.
    »Krass«, sagt Kelly.
    Josh stößt einen Fluch aus. »Verdammt«, knurrt er, »womit haben sie das eigentlich verdient?«
    Vorgebeugt, zitternd tritt Toni Walsh vor, ihre große rosarote Tasche wirkt wie ein verkümmerter Körperteil, und sie blickt angespannt auf das Display, während sie ein Foto nach dem anderen macht. Sie sagt nichts, kein Wort, denn sie arbeitet, sie macht ihren Job, sie dokumentiert, sie schreibt Geschichte. Die anderen sehen ehrfürchtig zu. Oder ängstlich. Dies ist der Tod, dies – genau dies – ist es, wogegen sie kämpfen, und hier liegt es vor ihnen, vor ihren Augen, und stinkt.
    Er versucht, seine eigenen Gefühle auseinanderzuklauben – Entsetzen, Mitleid, Trauer, Wut –, aber da ist noch etwas anderes, ein Aufwallen von Erregung, ja Freude. »Gut«, sagt er, »ausgezeichnet – das ist genau das, was wir brauchen«, und er hat jetzt einen Stock in der Hand und stochert nach dem Kadaver des größeren Tiers, auf der Suche nach dem Einschuss, dem unwiderleglichen Beweis, denn diese Schweine haben nicht einfach das Gleichgewicht verloren, sie sind nicht in den Canyon gefallen und hier aufgeschlagen. Nein, sie sind ermordet worden, eliminiert , das ist das Wort. »Hier, Toni, hier. Ich glaube, das ist die Einschusswunde. Können Sie eine Großaufnahme davon machen?«
    Es ist ein schmales Sims, auf dem sie stehen, nicht viel breiter als eine Badewanne, die Felsen sind nass, unten rauscht das Wasser, Regen rinnt über ihre Gesichter und tropft von den Schirmen der Mützen, alle drängen sich aneinander, um besser sehen zu können, und er und Toni sind im Mittelpunkt des Geschehens, sie haben recht gehabt, sie sind bestätigt – diese verdammten Hurensöhne! –, und als Kelly einen Schritt, nur einen einzigen Schritt, zurücktritt, um ihnen Platz zu machen, fällt es ihm schwer zu begreifen, was er sieht. Sie schreit nicht auf. Versucht nicht, sich an seiner Schulter oder dem verkümmerten blassen Nichts von einem Busch neben ihr festzuhalten. Sie sagt nur leise: O Scheiße , als wäre sie in einer privaten Unterhaltung über irgendein beliebiges Thema, und dann ist sie verschwunden.
    Auf dem Rücken, den Kopf voran, rutscht sie den Steilhang hinunter, sie hat die Arme ausgestreckt, die Hände greifen ins Leere, polternd folgt ihr eine kleine Lawine aus Schlamm und Geröll durch eine Rinne, die zum dreißig Meter tiefer schäumenden Fluss führt. Mit einem lauten Platschen taucht sie ein, ihr khakifarbener Poncho bauscht sich und flattert in der Strömung, während der Kopf, jetzt ohne Mütze, das Haar im Wasser ausgebreitet, noch für ein, zwei, drei Wellenschläge zu sehen ist, bevor sie fortgerissen wird.
    Es bleibt keine Zeit, den Schock zu verarbeiten, keine Zeit für Flüche und Rufe und den erstickten Schrei, der aus Suzannes Kehle dringt und kraftlos im Canyon verhallt, denn er ist bereits in Bewegung, springt den Hang hinunter, unter dem Überhang hindurch und weiter, die Augen auf die Stelle gerichtet, wo sie untergegangen ist, und die ganze Zeit erwartet, nein, verlangt er, sie zu sehen, wie sie sich an einem Felsen oder einem Baumstamm festklammert. Er hört die anderen rufen und kann nur beten, dass nicht noch einer das Gleichgewicht verliert und in den Fluss fällt. Es gibt nichts, woran er sich festhalten könnte. Er ist von Kopf bis Fuß voller Schlamm. In seiner Kehle ist ein fauliger Geschmack.
    Als er auf einer Lawine aus Steinen und Erde schließlich den Fluss erreicht – wie lange hat er gebraucht? Fünf Minuten? Zehn? –, wird er um ein Haar selbst mitgerissen. Er steht bis zum Bauch im Wasser und kann sich gerade noch mit einer Hand am Ufer und mit der anderen an einer kleinen Weide festhalten. Die Strömung zerrt an ihm, als wäre sie lebendig. Von oben kommen Rufe. Steine, Stöcke, Zweige kullern herab. Er sieht, dass sich zwei der anderen – Cammy und Josh – den Hang hinunter zu ihm vorabeiten. Begreifen sie denn nicht? Verstehen sie nicht, wie gefährlich das ist? »Zurück!« brüllt er, so wütend wie noch nie.
    Erst jetzt, als er die Beine aus dem Wasser zieht und um sein Gleichgewicht kämpft, während er in den saugenden, weichen Uferschlamm tritt, der immer

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