Wenn das Schlachten vorbei ist
Möglichkeit von Erdrutschen? Siehst du den Abbruch da?« Sie zeigt auf ein langgezogenes, nach innen gewölbtes Stück Hang, den sie werden queren müssen, um zum oberen Ende des Canyons zu gelangen. »Da hat’s jedenfalls mal einen Erdrutsch gegeben, das sieht man.«
»Tja, das Risiko werden wir wohl einfach eingehen müssen. Ich bin schon tausendmal bei solchem Wetter herumgewandert – ihr etwa nicht? Das wird die Schweinemörder vielleicht ein, zwei Tage abhalten, aber im Augenblick sitzen die da und ölen ihre Gewehre und warten.«
Diesen Augenblick wählt der Regen, um stärker zu werden und den Einsatz zu erhöhen. Unter der durchnässten Mütze hängen die Dreads schlaff herab – tropf, tropf, tropf. Er will vernünftig sein, will diese Leute beherrschen, indem er sich selbst beherrscht, aber das ist keine Option, jetzt nicht mehr. »Scheiß drauf. Ich habe keine Lust, hier herumzustehen und zu diskutieren. Wenn ihr hierbleiben wollt – bitte, von mir aus. Aber ich gehe weiter, und zwar jetzt.« Unvermittelt setzt er sich in Bewegung, geht den kleinen Hügel mit übertrieben weit ausgreifenden Schritten auf der anderen Seite hinunter und tritt dabei eine kleine Lawine aus Schlamm und Steinen los, so in Fahrt, dass er sich nicht mal umdreht, um zu sehen, ob sie ihm folgen. Sie werden ihm folgen, das weiß er. Sie müssen ihm folgen.
Eine halbe Stunde später – es regnet noch immer, und das dunkle tosende Wasser in der Schlucht steigt mit jeder Minute – kommen ihm gewisse Bedenken. Er spürt die Oberschenkelmuskeln, die Ärmel seines Sweatshirts sind bis zum Ellbogen voller Schlamm, denn dieser Anstieg ist nur mit Hilfe der Hände zu bewerkstelligen, und seine Knöchel schmerzen von der Anstrengung, auf einem fünfundvierzig Grad steilen Hang das Gleichgewicht zu bewahren. Und dabei ist er ziemlich fit. Was man von Toni Walsh oder den beiden birnenförmigen Studentinnen oder auch Josh nicht behaupten kann. Sie gehen im Gänsemarsch hinter ihm, etwa fünfzehn Meter über dem Wasser, und halten sich, um nicht zu stürzen, an allem fest, was sie zu fassen kriegen, ob es nun Dornen hat oder nicht. Niemand sagt etwas. Cammy ist direkt hinter ihm und treibt ihn geradezu an, gefolgt von den beiden anderen Frauen, dann kommt Toni Walsh, klatschnass, mit grauem Gesicht, wie eine wandelnde Tote, und den Schluss bildet Josh, damit er ein Auge auf sie haben kann. Sie sind noch nicht ganz einen Kilometer weit gekommen und haben fast den ersten Wasserfall erreicht, wo sie wenigstens aus dem Matsch herauskommen werden. Es gibt keine Anzeichen von Schweinen, Jägern, Füchsen, Raben oder sonstwas. Sie könnten ebensogut auf der Rückseite des Mondes sein. Nur dass es auf dem Mond keinen Regen gibt. Und keinen Matsch.
Die Überraschung war Toni Walsh. Seit sie den ersten Hügel hinuntergegangen sind, hat er erwartet, dass sie schlappmacht, aber jedesmal, wenn er sich umsieht, ist sie da und stapft mit gesenktem Kopf dahin. Trotzdem, denkt er, wie lange wird sie noch durchhalten? Sie müssen raus aus diesem Canyon, und zwar schnell. Oder eine Stelle finden, wo sie sich ausruhen kann, damit er und Josh oder Cammy vorausgehen und nach etwas suchen können, das ein Weitergehen lohnend erscheinen lässt. Er mustert das Terrain drei-, vierhundert Meter vor ihnen, wo der Canyon sich verengt – Felsen türmen sich auf, von tiefen Rissen und Rinnen durchzogen, durch die das Wasser schießt –, als er einen Überhang entdeckt, der wie ein großes Vordach wirkt. Endlich , denkt er und fasst neuen Mut, dreht sich zu Cammy um und deutet darauf, bevor er den anderen zuruft: »Dort oben!« Er sieht, wie sie mit ausdruckslosen Gesichtern den Blick heben. »Da werden wir rasten.«
Der Überhang bietet nicht viel Schutz. Sie sind unter einem tropfenden Vorsprung auf einem etwa drei Meter langen Sims, das nach drei Seiten offen ist, aber immerhin bekommen sie hier weniger Regen ab. Es ist etwas eng, man steht Schulter an Schulter, Stiefel an Stiefel, und als erstes holen sie, ob Mann oder Frau, etwas zu essen aus den Rucksäcken. Es gibt nicht viel zu sagen außer: »Könntest du noch ein Stückchen rücken?«, und: »Willst du Erdnussbutter oder Frischkäse und Sprossen?« Für einen langen Augenblick hört man nur das Rauschen des Regens, das Knistern von Zellophan und ein gelegentliches leises Schmatzen. Dann zieht Josh eine Bota hervor (aus Kunststoff und Vinyl – er würde sich nie einen Schafsmagen aufs Gewissen laden) und
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