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Wenn das Schlachten vorbei ist

Wenn das Schlachten vorbei ist

Titel: Wenn das Schlachten vorbei ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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gehört, hat er ihn schon wieder vergessen. Er braucht Kaffee, Toast, er muss irgendwas in den Magen bekommen. Es dauert einen Augenblick, bis er kapiert, was der Mann, der Freund eines Kollegen eines Freundes von Wilson, ihm sagen will. »Ich hab, was Sie wollen«, sagt der Mann. »Und so viele Sie wollen. Die Frage ist nur der Preis. Dreißig das Stück? Wär das okay?«
    Mit einemmal begreift Dave, wovon der Typ redet: von Klapperschlangen. Von Crotalus viridis , um genau zu sein, der Westlichen Klapperschlange. Er bringt kein Wort heraus, so überrascht, nein, so überwältigt ist er, dass dieser Anruf ausgerechnet jetzt kommt.
    »Sind Sie noch da? Können Sie mich hören? Hier ist Everson Stiles aus Wellspring. In Texas.«
    »Ja«, sagt er und fängt sich. »Ja, okay. Ich höre Sie. Und ich bin interessiert. Sehr interessiert.«
    Vor Monaten, ungefähr zu der Zeit, als er mit den Waschbären hinaus zur Insel gefahren ist, hat er Wilson gebeten, sich mal umzuhören, und dies war der Kontaktmann, den er aufgetrieben hat. Everson Stiles, ehemaliger Pastor einer evangelikalen Gemeinde, die es für gut hielt, die Schlange in das Haus Gottes zu bringen. Jedes Jahr veranstalteten die Gläubigen eine Jagd und erschienen zum Gottesdienst mit Kartoffelsäcken voller Schlangen, die sie freiließen, und wälzten sich zwischen ihnen auf dem Boden herum, redeten in Zungen und flehten den Herrn an, sie vor dem Übel zu bewahren. Doch der Herr wollte sie offenbar nicht erhören, denn einige wurden gebissen, und ein zehnjähriges Mädchen starb. Es kam zu einem Prozess, den die Kirche verlor, und das war das Ende sowohl dieser Praxis als auch der Gemeinde.
    »Plus Spesen. Fahrtkosten, meine ich. Benzin und so.«
    »Was? Für den ganzen Weg von Texas hierher?«
    Ein kurzes, schnaubendes Lachen. »Nein, da wohne ich nicht mehr. Ich bin jetzt in Ojai. Bei Ihnen um die Ecke. Und ich sage Ihnen, jetzt ist die richtige Zeit, um sie einzusammeln. Wenn sie sich zum Winterschlaf zurückgezogen haben. Dann knäulen sie sich zu mehreren zusammen. Wenn man wartet, bis sie im Frühjahr wieder rauskommen, erwischt man immer nur eine auf einmal, und dann geht der Preis rauf.«
    Er versucht es sich vorzustellen: Schlangen, die sich in einem Sack, in drei, vier Säcken auf dem Betonboden seiner Garage winden und wälzen – und er wird noch andere Tiere haben wollen: mehr Waschbären, Kaninchen vielleicht oder Taschenratten, wie wär’s mit Taschenratten? »Klingt gut«, sagt er und spürt, wie er sich angesichts der Detailliertheit dieser Vision entspannt: Käfige voller Kaninchen mit zuckenden Nasen und klopfenden Hinterbeinen, die ihn aus großen, glasigen, ängstlichen Augen ansehen. Aber nicht die weißen, die man als Junge zu Ostern geschenkt bekam, sondern Wildkaninchen, große, sehnige, für den Überlebenskampf gerüstete Tiere. »Nein, der Preis ist in Ordnung, und ich bin weiterhin interessiert. Sehr interessiert. Aber das ist jetzt kein guter Zeitpunkt – kann ich Sie zurückrufen?«
    Kaum hat er aufgelegt, da läutet das Telefon schon wieder und reißt ihn aus seinen Gedanken. Diesmal ist es Anise, die wissen will, ob er gut geschlafen hat, und sofort ist seine Stimmung wieder im freien Fall.
    »Du weißt, dass ich beschissen geschlafen habe. Vielen Dank übrigens.«
    »Hol mich doch zum Mittagessen ab und erzähl mir alles, und danach können wir zusammen zu meinem Gig fahren.«
    Er sagt nichts. Er hasst sie.
    »Ich kann eine Ansage machen«, schlägt sie vor, und er sieht sie vor sich in ihrer Küche: Sie kaut auf einem Bleistift oder einem Grissino herum, und ringsum ist alles an seinem Platz, glänzend und beruhigend. »Über die Frau und das, was passiert ist, über die Leute, mit denen wir es zu tun haben. Oder Flyer – wenn du willst, können wir Flyer machen.«
    »Du hast ja keine Ahnung, was ich durchgemacht habe«, sagt er schließlich und hört, wie schwach und selbstmitleidig, wie geschlagen er klingt. »Du machst dir keine Vorstellung.«

DER SCHIFFBRUCH DER ANUBIS
    Nach dem Telefongespräch mit Maria Campos, der Rechtsanwältin, die Freeman Lorber ihr empfohlen hat, ist sie so erregt, dass sie sofort in die Küche gehen und sich ein Glas Sake einschenken muss, um nicht wie ein leerer Hosenanzug in sich zusammenzusacken. Sie nimmt einen langen Schluck und starrt hinaus auf den durchweichten Garten: Die Farne sind vom Regen gebeugt, der Rasen steht unter Wasser, der Eukalyptus wirft in langen, unregelmäßigen

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