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Wenn das Schlachten vorbei ist

Wenn das Schlachten vorbei ist

Titel: Wenn das Schlachten vorbei ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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»zweieinviertel Stunden. Und dann können sie machen, was sie wollen – unsere Aussagen aufnehmen, die Leiche an Land bringen und die Kriminalpolizei und den Gerichtsmediziner und was weiß ich wen holen. Aber ich will, dass Sterling da ist. Auf dem Steg.«
    »Aber die können uns doch nichts anhaben.« Joshs Stimme ist so leise, dass man sie über dem dumpfen Krachen der Wellen und dem beständigen Brummen des Motors kaum verstehen kann. »Oder doch?«
    Wilson schüttelt den Kopf. »Auf keinen Fall. Wir müssen unsere Aussagen machen, immerhin sind wir ja Zeugen. Du jedenfalls. Du hast gesehen, wie sie ums Leben gekommen ist, stimmt’s? Es ist wie bei einem Autounfall oder so, bei dem du Zeuge warst. Da wollen die Bullen dann auch wissen, wer wann wo was gemacht hat. Du weißt schon.«
    Der Bug erhält einen plötzlichen Stoß von einer Welle, die aus der Reihe tanzt. Für einen Augenblick sind sie schwerelos, bevor sie in das Wellental tauchen und auf der anderen Seite wieder hinauffahren, wobei das ganze Boot erzittert. Und dann erneut ein Stoß, ein Auf und Ab, nur dass diesmal etwas gegen die Kajütentür schlägt. Es dauert eine Sekunde, bis ihnen klar wird, was das war.
    »Wir müssen sie reinholen«, sagt Josh und steht schwankend auf.
    »Lasst sie liegen«, sagt Dave. Er denkt an den Schmutz, den Sand und die Nässe, an das, was mittlerweile womöglich aus ihr herausgesickert ist. Angeblich entspannen sich die Schließmuskeln, wenn man stirbt. Hat er doch irgendwo gelesen.
    »Sie liegenlassen? Wir reden hier von einem menschlichen Wesen.«
    »Von etwas, was mal ein menschliches Wesen war.«
    »Du Scheißkerl. Leck mich doch. Cammy hatte recht. Wenn du nicht –«
    Er ist drauf und dran aufzuspringen und ihm eine reinzuhauen, diesem jämmerlichen, weinerlichen milchgesichtigen Wicht, der eigentlich Windeln tragen sollte, und was bildet er sich eigentlich ein, was bildet er sich verdammt noch mal eigentlich ein, so mit ihm zu reden, als Wilson, die Stimme der Vernunft, sagt: »Und wenn sie über Bord geht?«
    »Sie geht nicht über Bord.«
    »Aber wenn doch?«
    Sie haben recht. Natürlich haben sie recht. Wenn sie die Leiche verlieren, sieht es so aus, als wollten sie etwas vertuschen, irgendeine Schandtat, vielleicht sogar einen Mord. Plötzlich schämt er sich für seine Gedanken. Bis heute hat er noch nie einen toten Menschen gesehen, und kaum ist es geschehen, da legt er sich auch schon eine Geschichte zurecht, wie ein Verbrecher, wie ein Mörder. »Okay«, sagt er schließlich. »Dann bringt sie rein. Aber legt sie nicht auf die Couch oder in eine der Kojen. Einfach aufs Deck, okay?«
    Durch die geöffnete Tür weht ein Schwall Luft, die nach Meer riecht, und im nächsten Augenblick kommt Josh rückwärts herein und zieht Kellys Leiche hinter sich her, doch er allein wird damit nicht fertig, und so steht Wilson auf, um ihm zu helfen. Totes Gewicht – dieser Ausdruck gewinnt eine Bedeutung, die er bisher nicht hatte, nicht haben konnte. Sie liegt halb drinnen, halb draußen. Das Boot taucht ein und hebt sich wieder. Jetzt riecht es nach etwas anderem, nach Urin und Fäkalien. Und dann reißt der Poncho, ein billiges, beschichtetes Ding, das sein Geld nie wert war, der Länge nach auf, als Josh versucht, ihn zu packen zu bekommen, und da liegt Kelly rücklings hingestreckt auf dem fleckabweisenden Teppich und starrt schon wieder zu ihm auf.
    Die Digitaluhr im Armaturenbrett zeigt 2:15, als er in die Einfahrt biegt und auf die Fernbedienung für das Garagentor drückt. Er ist so erschöpft, dass er kaum das Lenkrad drehen kann. Das Scheinwerferlicht streicht über den Rasen – keine kauernden Kreaturen der Nacht, keine umherschleichende fette Hauskatze, nur üppiges, sattgrünes, gleichmäßig geschnittenes Gras –, und als er in der Garage den Motor abgestellt hat, sitzt er da und hat nicht die Kraft, die Wagentür zu öffnen. Er stellt sich die Eingangshalle vor, die Treppe, sein Bett mit den kühlen Laken, den weichen Kissen und der eierschalenfarbenen Tagesdecke, die seine Mutter gehäkelt hat, doch er bleibt, wo er ist, wie eingefroren, und lauscht auf das Ticken des Motors, bis der Bewegungsmelder über dem Garagentor abrupt das Licht ausschaltet. Er denkt an Anise – er muss sie anrufen, ganz gleich, wie spät es ist – und dann an die Hunde, die den ganzen Tag im Haus eingesperrt waren, und als er die Fahrertür öffnet, geht das Licht wieder an. Dann steht er auf dem Pflaster seiner

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