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Wenn das Schlachten vorbei ist

Wenn das Schlachten vorbei ist

Titel: Wenn das Schlachten vorbei ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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sie Regen machte, und sie verlangte ein halbes Kalb, und als es dann zwei Wochen lang regnete, als stünde eine neue Sintflut bevor, wollte sie noch zwei Kälber, um es wieder aufhören zu lassen). Er trug ein verwaschenes blaues Arbeitshemd, ein fadenscheiniges Halstuch, frisch geölte Stiefel und Jeans, die so durchtränkt waren mit Blut, Wollfett und Schmutz, dass man notfalls einen Balken des Hauses damit hätte abstützen können. An seinem Oberschenkel war die Scheide des Schäfermessers festgeschnallt. Wie er Bax sein Wissen vermittelt hatte, war ein Rätsel, denn er war stumm wie ein Stein (es sei denn, er war betrunken – dann musste man ihn praktisch knebeln, damit er den Mund hielt), aber er war so vielseitig und tüchtig wie die Roboter, die die Zukunft verhieß. Jetzt sagte er: »Ich bring dem Mister su café , Missus?«
    Der Mister – Bax also, der Mann, dessen letzte große Herausforderung darin bestand, diese fast siebentausend Morgen auf der Basis einer ungleichen Gewinnbeteiligung für die Besitzer zu verwalten, und in dessen Bett sie zwei Wochen nach ihrer Anstellung als Köchin eingezogen war –, der Mister war krank. Er hatte, um die Zufahrt zu ihrer provisorischen Start- und Landebahn freizuhalten, Gesteinsbrocken von der mit Schlaglöchern übersäten Straße geräumt, die jenseits des Bachbetts an steilen Abhängen entlang aus dem Tal führte, und dabei war der Jeep, der ohnehin nur noch ein Haufen Schrott war, umgestürzt. Bax wurde herausgeschleudert, doch der Jeep rollte immer weiter: Die Windschutzscheibe wurde plattgedrückt, das Lenkrad abrasiert, Vorderräder, Kotflügel und Motorhaube wurden umgestaltet, bis ein Felsbrocken den Wagen auf halber Höhe des Abhangs stoppte. Niemand ahnte etwas, bis die Dämmerung hereinbrach und Anise von ihren Hausaufgaben aufsah und sagte: »Wo ist eigentlich Bax?«
    Er hatte Glück – so sah er es jedenfalls. Die Gehirnerschütterung war so leicht, dass er mit dem Arm winken und die Raben verscheuchen konnte, wenn sie ihm zu nahe kamen, es war sein schlechtes Bein – das linke –, das gebrochen war, und er hatte sich nur drei der zwölf Rippen gebrochen, mit denen der Mensch ausgestattet ist. »Vergiss den Quatsch von wegen Adams Rippe«, sagte er am ersten Abend im Krankenhaus von Ventura zu Anise, die mit langem, sorgenvollem Gesicht an seinem Bett saß. »Männer und Frauen haben genau gleich viele Rippen. Und es ist bloß ein verbreiteter Irrtum, dass Männer eine Rippe weniger haben. Ein Vorurteil. Ein Altweibermärchen.«
    Aber jetzt lag er im Bett, hatte Schmerzen, war verärgert und wütend. Vor einer Woche war er sechzig geworden, und man sah ihm sein Alter an. Und morgens war er ohnehin immer schlechtgelaunt. Also nahm sie die Kanne vom Herd, schenkte einen Becher ein, gab viel Zucker und Sahne dazu und reichte sie Francisco. »Ja«, sagte sie, »das wäre gut. Bring du ihm den Kaffee. Und sag ihm nichts. Oder nein: Sag ihm, ich werde draußen bei den Mutterschafen sein, bis jedes einzelne sein Lamm gekriegt hat. Den ganzen Tag, die ganze Woche und auch die nächste, wenn es sein muss.«
    Francisco nickte. Sein Gesicht war bemerkenswert glatt für einen Mann, der sein ganzes Leben unter freiem Himmel zugebracht hatte, was auch ein Grund war, warum sein Alter so schwer zu schätzen war, das und die Tatsache, dass er sich wie ein weit jüngerer Mann hielt, mit geradem Rücken und großen, energischen Schritten. Er sagte nur: »Suerte« , nahm den Becher und ging durch die Tür und die Treppe hinauf zu dem Zimmer, wo Bax flach auf dem Rücken lag und sich durch den Stapel alter Ausgaben von Life las, den Rita das letztemal, als sie auf dem Festland gewesen waren, auf einem Flohmarkt gekauft hatte. Der Nachttopf würde geleert werden müssen. Und sehr bald, nachdem er die zwei ersten Becher Kaffee getrunken hatte, würde er Frühstück haben wollen. Vorher aber musste noch der Eintopf aufgesetzt werden, damit er den ganzen Tag über leise köchelte – Mittag- und Abendessen zugleich. Und dann waren da noch die sechs Backformen mit dem aufgehenden Brot, die hinter ihr auf der Theke standen und in den Ofen mussten, sobald das Feuer, das sie darin entzündet hatte, bis auf die Glut heruntergebrannt war.
    Sie zog den Schleifstein aus der Schublade und wetzte das Schlachtermesser, und dabei achtete sie auf die Geräusche, die das Haus machte, auf das ferne Blöken der Mutterschafe und die rauhen Vogelflüche der zahllosen Raben, die sich zu dem

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