Wenn das Schlachten vorbei ist
schlaff und strähnig, und sie konnte sich nicht erinnern, wann sie zuletzt ein Restaurant von innen gesehen hatte. Nicht dass sie sich beklagt hätte. Sie hatte Bax und Anise, ein halbes Dutzend Rancharbeiter und über viertausend Schafe als Gesellschaft, und sie war so sehr damit beschäftigt, alles in Schuss zu halten – und dabei kam es immer auf die Details, auf jede Kleinigkeit an –, dass der Rest der Welt zu einem Nichts zusammenzuschrumpfen schien, als hätte sie nur davon geträumt, als wäre Oxnard nichts weiter als eine Filmkulisse oder als hätte es in einem Flirren von Feenstaub Gestalt angenommen. Und die Nachrichten – was waren Nachrichten anderes als ein unablässiges hysterisches Geschrei über neue oder bevorstehende Katastrophen, das alle verdrießlich und misstrauisch machte und mit Hass auf ihre Mitmenschen erfüllte? Das brauchte sie nicht. Es fehlte ihr nicht. Die Nachrichten, die sie interessierten, kamen mit dem Wind, sie tropften aus dem Nebel und blökten aus den Kehlen der sechzehnhundert Schafe, die demnächst auf der vom Regen bewässerten unteren Weide ihre Lämmer zur Welt bringen würden, und diese Nachrichten konnte sie hören, riechen und schmecken, als sie sich erhob, um das Feuer im Herd zu schüren.
Es war kalt im Raum – wärmer als vor zwei Stunden, als sie aufgestanden war, um Frühstück zu machen, aber noch immer zu kalt für ihren Geschmack –, und die Hitze des Herdes fühlte sich gut auf ihrem Gesicht an. Sie stocherte in der Holzkohle, legte ein paar kleine Stücke Treibholz nach und obenauf ein paar Scheite Eukalyptusholz aus dem Hain, den der Vater oder Großvater des Besitzers irgendwann angelegt hatte. Die Bäume verloren ständig Äste und Borke, besonders im Winter, wenn es viel regnete und das weiche, poröse Holz Wasser aufsog, bis es krachend brach und man den dumpfen, schweren Aufprall noch zweihundert Meter entfernt durch die Sohlen der Stiefel spürte. Jetzt war es Winter – Januar –, und ein leichter Regen schlug gegen das Fenster, ein Teil der fünfzig Zentimeter pro Jahr, die hier niedergingen, sofern Strömungen, Wind und Barometer kooperierten. In den letzten beiden Jahren hatte es mehr geregnet. Es waren El-Niño-Jahre gewesen, und das ausgetrocknete Bachbett vor dem Haus hatte sich in eine schäumende braune, über die Ufer tretende Flut verwandelt, die in die falsche Richtung floss, nämlich ins Meer, und sie hatten das Klohäuschen, den Hühnerstall, den Pferch und alles, was nicht festgemacht war, verloren, darunter auch die zwölf Klafter Holz, die sie während des langen, staubigen, erbarmungslosen Sommers, der von April bis Ende November dauerte, geduldig gesammelt, zersägt, gespalten und aufgeschichtet hatte. Und dann der Schlamm: Fünfzig Zentimeter hoch hatte er im Haus gestanden, an den Wänden war noch immer die Marke zu sehen, wie ein Kaffeerand in einem Becher. Schlamm, auf den sie in diesem Jahr gut verzichten konnte. Ein sanfter Regen sollte fallen, nur so viel, dass das Bachbett ihn aufnehmen konnte.
Es war gerade hell genug, um die Farben der Dinge vor dem Fenster erkennen zu können – ein Paar khakifarbene Gummistiefel, die an einem Haken unter dem Dachvorsprung hingen, eine einst rote Schubkarre, die umgedreht auf dem Komposthaufen lag, die verschrammte weiße Kühlerhaube von Bax’ arg mitgenommenem Jeep mit den gebrochenen Federn –, als Francisco zur Hintertür hereinkam, um ihr mit dem Abwasch nach dem Frühstück zu helfen und den pockennarbigen Betonboden aufzuwischen. Francisco war, je nach Stimmung und Gesellschaft, Baske mit mexikanischem oder Mexikaner mit baskischem Blut. Er war hier seit der ersten, bankrott gegangenen Schafzucht und hatte dann als eine Art Hausmeister die langen, einsamen Jahre überstanden, in denen das Ranchhaus mangels Geld und Pflege verfallen war und die Schafe sich, befreit von Scherern, Hunden und Zäunen, über die Schründe und Klüfte von El Montañon verteilt hatten, dem Bergzug, der diese östlichen zehn Prozent der Insel vom Westen trennte. Jetzt arbeitete er für Bax. Er war zwischen fünfzig und achtzig (keiner wusste es genau, und er war in dieser Hinsicht nicht sehr mitteilsam und sprach, wenn überhaupt, nicht von Jahren, sondern von Zeiten, el otoño de los vientos , die Zeit der Knochensammler von der Universität, die Zeit des Erdbebens oder die Zeit der Dürre, als er als Kind im San Joaquin Valley Vieh gehütet hatte und der patrón eine chisera holen ließ, damit
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