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Wenn das Schlachten vorbei ist

Wenn das Schlachten vorbei ist

Titel: Wenn das Schlachten vorbei ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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kramte er in der Tasche, dann legte er einen Schlüsselbund auf den Tisch. »Sie können doch einen Wagen mit Schaltgetriebe fahren, oder?«
    Sie nickte. Die Geldscheine lagen zwischen ihnen wie ein idiotisch großzügiges Trinkgeld für die Kellnerin, die ihnen noch nicht mal die Sandwiches gebracht hatte.
    »Sie kennen doch den Supermarkt ein Stück weiter die Straße rauf?« Er zeigte durch das Café auf einen Punkt jenseits der Theke, der schmutzigen Fenster und der feucht schimmernden Straße und hob fragend die Augenbrauen. »Ja? Dann nehmen Sie das und kaufen uns Lebensmittel.«
    »Lebensmittel? Was meinen Sie damit?«
    »Damit meine ich, dass Sie mich am Hafen absetzen müssen. Ich muss noch ungefähr sechstausend Sachen besorgen, bevor das Boot fährt. Ich meine, genug für eine Woche oder vielleicht eineinhalb Wochen, und danach kommen wir wieder her und denken über die lagerfähigen Sachen nach, Fünfzig-Pfund-Säcke Reis, Bohnen und so weiter. Sie kennen doch den Yachthafen, oder?«
    »Na ja … ich bin schon mal dort gewesen, aber –«
    Die Kellnerin kam mit ihren Sandwiches, und beide waren kurz abgelenkt, als sie die Teller auf den Tisch stellte, eine Flasche Ketchup aus der Schürzentasche zog und fragte, ob sie noch etwas bringen solle. »Noch mal dasselbe«, sagte er und schüttelte das leere Glas, dass die Eiswürfel klingelten. »Was ist mit Ihnen, Reet? Noch eine Diät-Cola?«
    Beide schwiegen, als sie sich ihren Sandwiches widmeten, und es kam ihr so vor, als wären sie bereits auf dem Boot, auf See, als schaukelten sie auf den Wellen. Mit einemmal war sie so hungrig, dass sie kaum denken konnte. Was geschah hier mit ihr? Hatte sie in irgendeinen Vertrag eingewilligt? Und wenn ja, wann? Plötzlich drang die Musik aus der Jukebox zu ihr durch, Neil Youngs »Helpless«, ein Stück, das sie immer geliebt und mit Toby in einer radikal verlangsamten Version gecovert hatte – ihre beiden Stimmen hatten sich zum Refrain vereinigt, und Toby hatte diese wuchtigen Akkorde in die Tasten des Klaviers gehämmert, als wäre es aus Beton. Es war Glück gewesen, das reine Glück. Sie nahm es als Omen.
    »Also«, sagte er, »wenn wir fertig gegessen haben, setzen Sie mich am Yachthafen ab. Das Boot gehört einem Freund von mir und heißt Side Pocket . Fragen Sie sich einfach durch. Jeder kennt es.« Er wischte sich den Mund ab und kaute. »Verdammt gutes Sandwich.«
    Sie schloss für einen Moment die Augen und versuchte sich vorzustellen, wie es weitergehen würde: Ihre Mutter würde auf Anise aufpassen müssen, das war mal sicher, wenigstens eine Zeitlang, bis die Sommerferien begannen, und sie würde sich krank melden müssen, vielleicht für länger …
    »Ach ja«, sagte er und fuchtelte mit dem Sandwich, das inzwischen ganz durchweicht war, so dass Rinnsale von Fett und Thousand-Island-Dressing über seine rechte Hand rannen, »ich wollte Sie nur daran erinnern –«
    »Aber ich weiß ja noch nicht mal, was ich eigentlich einkaufen soll, und ich kann nicht, ich meine, ich muss noch –«
    »Gemüse«, sagte er und wischte sich den Bart mit den verschmierten Überresten der Papierserviette ab. »Eine Fünf-Liter-Flasche Wein. Ein paar Kästen Bier, sagen wir fünf, die Marke spielt keine Rolle, was immer gerade im Sonderangebot ist. Gewürze. Sie wissen schon« – er hielt inne und sah sie ausdruckslos an –, »irgendwas, was zu Lammfleisch passt.« Und jetzt kam auch die andere Hand ins Spiel, die Fläche nach oben gekehrt, so dass die fettglänzenden Schwielen schimmerten und die tief eingeschnittene Lebenslinie sie ansprang wie eine Karte ihrer Zukunft. »Aber was ich sagen wollte, woran ich Sie erinnern wollte: Das Boot legt um fünf ab.« Er beugte sich über den Tisch und zwinkerte ihr zu. »Kommen Sie nicht zu spät.«
    Und so kam es, dass sie etwa viereinhalb Jahre später im ersten Licht des Morgens in der von schmutzigen Fußspuren durchzogenen Küche eines aus Lehmziegeln erbauten Ranchhauses saß, die Ellbogen auf die fleckige, rissige Platte des langen Esstischs stützte und den Dampf von einem Becher Kaffee blies, so weit vom Festland, der Morgenzeitung und dem restlichen Leben dort entfernt, dass sie ebensogut eine Schiffbrüchige hätte sein können. Wo diese Jahre geblieben waren, wusste sie nicht, ebensowenig wie sie hätte sagen können, wo der Wind blieb, wenn er aufhörte, durch den Canyon hinter dem Haus zu fegen. Ihre Hände waren hart wie Zangen, ihr Haar war mangels Shampoo

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