Wenn das Schlachten vorbei ist
Noch immer Musik. Für immer Musik. Aber wenn sie jetzt spielte, dann für ihre Tochter und ihren Geliebten und die harten, wettergegerbten Männer mit den schlechten Zähnen und dem süßen Weinatem.
Hinter ihr rann das Regenwasser an den Wänden des Hauses herab, dunkle Adern in der blassen Haut aus Putz, und das Licht, das durch das Küchenfenster fiel, schnitt säuberlich ein Rechteck aus der Wand, genau unter dem kleineren Rechteck im ersten Stock, wo Bax die Leselampe eingeschaltet hatte. Er lag dort oben unter seinen Decken und dem dicken Federbett, und sie war hier draußen. Im Regen. Vor sich einen ganzen Tag voller Sorgen. Aber das machte nichts, sagte sie sich, solange es ihm nur bald besserging. Und irgendwie, so schrecklich es klang, war sein Unglück für sie ja auch eine auf dem Silbertablett präsentierte Gelegenheit, sich zu beweisen und das Lammen zu überwachen, während die anderen in den Hügeln waren, Zäune flickten und die Wege freihielten für den Auftrieb Ende Februar, wenn die Lämmer und ein paar Schafe, die man im letzten Jahr übersehen hatte, kastriert und ihre Schwänze kupiert wurden. Es war ja nicht nötig, dass sie hier aufpassten, wenn dort oben so viel Arbeit auf sie wartete. Und beim Lammen gab es auch eigentlich nicht viel zu tun – die Mutterschafe brauchten keine Hilfe. Man musste nur in den ersten kritischen Stunden achtgeben, dass die Herde nicht aufgeschreckt wurde, denn dann würden die Muttertiere in Panik davonrennen und die neugeborenen Lämmer allein lassen – nur für ein paar Minuten vielleicht, aber die genügten den Raben.
Dieses Jahr hatten sie und Anise am Strand von Scorpion Harbor und Smugglers’ Cove, der nächsten Bucht jenseits der Hügel im Südosten, große Schilder mit der Aufschrift Kein Zutritt aufgestellt und die Farm für die Zeit des Lammens für alle Besucher geschlossen, so dass es keine absichtlichen oder unabsichtlichen Störungen geben konnte – im Gegensatz zum vergangenen Jahr, als zwei Idioten mit einem dröhnenden Motorboot in die Bucht gefahren waren und auf alles geschossen hatten, was sich bewegte. Das Echo der Schüsse hatte im Canyon donnernd widergehallt, bis die Herde sich in alle Himmelsrichtungen zerstreut hatte. Es war eine Katastrophe gewesen. Innerhalb einer halben Stunde hatten sie an die fünfzig Lämmer verloren, fünfzig Lämmer, die nicht wachsen und gedeihen und verkauft werden konnten, und der finanzielle Verlust war äußerst schmerzhaft gewesen. Noch wochenlang hatte sie Rachephantasien gehabt und sich vorgestellt, wie sie diese grinsenden Dummköpfe an die Wand des Farmhauses stellen und mit ihren eigenen Gewehren erschießen würde – mal sehen, wie ihnen das gefiel. Es war wie etwas aus einem Western von John Ford, aber selbst in ihrer größten Wut hatte sie gewusst, dass es nichts weiter als eine Phantasie war. Die einzige Waffe, die sie je in der Hand gehalten hatte, war das Kleinkalibergewehr, das hinter der Haustür stand und mit dem Bax die Raben und die Steinadler verscheuchte, die junge Lämmer davontrugen und ihren Balg, wenn sie damit fertig waren, aus dem Horst warfen. Sie hatte nie damit geschossen und war sich nicht mal sicher, ob sie es überhaupt könnte.
Sie hielt einen Augenblick inne und sah zum Himmel. Die Wolken waren dicht und dunkel, die Regentropfen tanzten auf ihrer Haut. Heute würden keine Tagesausflügler vom Festland kommen, nicht bei diesem Wetter. Sie leerte die Schüssel mit den Abfällen auf den Komposthaufen und grub sie mit einer Mistgabel gründlich unter, zum einen, weil das ohnehin nötig war, zum anderen, weil die Raben nicht einmal die Abfälle kriegen sollten. Der Regen wisperte, von der Wärme im Inneren des Haufens stiegen eine Dampfwolke und der schwere feuchte Geruch der Verwesung auf, und aus dem Augenwinkel nahm sie eine Bewegung wahr. Als sie den Kopf wandte, sah sie im Windschatten des Jeeps den Fuchs, der, die Vorderpfote erhoben, mitten im Lauf erstarrt war.
Das war ein Tier, das ihre Sympathien hatte: zu klein, um eine Bedrohung für die Schafe zu sein, und immer auf Jagd nach den Mäusen, die sich im Haus tummelten und überall ihren Kot hinterließen, dunkle kleine Päckchen voller Schmutz und Keime. Sie schnalzte leise mit der Zunge und sah, dass der Fuchs die Ohren aufstellte. Ganz langsam beugte sie sich zum Komposthaufen und suchte nach einem Stück Fleischabfall, bis sie einen Knochen mit einem Knorpel daran fand. Sie warf ihn dem Fuchs zu, und er
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