Wenn die Dunkelheit kommt
noch fester zu, noch härter, grub seine Finger in das kalte, schmierige Fleisch.
»Rebecca, was ist mit deiner Hand?«
»Nur ein Kratzer«, antwortete sie.
»Penny?«
»Ich... ich bin okay.«
»Dann fort mit euch. Geht zur Avenue.«
»Und du?« fragte Rebecca.
»Ich halte das Ding fest, damit ihr einen Vorsprung bekommt.« Die Eidechse schlug um sich. »Dann werfe ich es weg, so weit ich kann, und komme euch nach.«
»Wir können dich doch nicht alleine lassen«, widersprach Penny verzweifelt.
»Nur ein oder zwei Minuten«, beruhigte sie Jack. »Ich hole euch schon ein. Ich kann schneller laufen als ihr drei. Jetzt geht. Verschwindet, ehe noch eines von den verdammten Dingern von irgendwoher angreift. Los!«
Sie rannten los, erst die Kinder, dann Rebecca, und wirbelten Schneewolken auf.
Das Eidechsenwesen zischte Jack an.
Er starrte in die Feueraugen.
Jack fragte sich, was wohl passieren würde, wenn er einen Finger in eine dieser leeren Höhlen, in das Feuer dahinter stecken würde. Würde er tatsächlich Feuer finden? Oder war es nur eine Illusion? Wenn in dem Schädel wirklich Feuer war, würde er sich dann verbrennen? Oder würde er entdecken, daß die Hammen wirklich so wenig Hitze hatten, wie es schien?
Weiße Flammen. Sie flackerten.
Kalte Flammen. Sie zischten.
Die beiden Mäuler der Echse schnappten nach der Nachtluft.
Jack wollte tiefer in dieses seltsame Feuer sehen.
Er hielt das Geschöpf dichter an sein Gesicht.
Er konnte spüren, wie das Licht dieser Augen ihn überspülte.
Es war eine bitterkalte Nacht.
Weißglühend.
Faszinierend.
Er spähte angestrengt in das Feuer des Schädels.
Die Flammen teilten sich fast, ließen ihn beinahe sehen, was hinter ihnen lag. Er blinzelte, strengte seine Augen noch mehr an. Er wollte das große Geheimnis begreifen. Das Geheimnis hinter dem feurigen Schleier. Wollte, mußte es begreifen. Weiße Flammen. Flammen aus Schnee, aus Eis. Flammen, die ein grauenhaftes Geheimnis bargen. Flammen, die winkten...
Winkten..,
Er nahm kaum wahr, wie sich hinter ihm die Wagentür öffnete. Die >Augen< des Eidechsenwesens hatten ihn gepackt und halb hypnotisiert. Er nahm die schneedurchwehte Straße ringsum nur noch undeutlich, schemenhaft wahr. Noch ein paar Sekunden, und er wäre verloren gewesen. Aber sie verschätzten sich; sie öffneten die Wagentür einen Augenblick zu früh, und er hörte es. Er drehte sich um und schleuderte das Eidechsenwesen so weit in die stürmische Dunkelheit hinein, wie er nur konnte.
Er wartete nicht ab, wo es hinfiel, schaute nicht, was aus der Limousine herauskam.
Er rannte nur.
Vor ihm hatten Rebecca und die Kinder die Avenue erreicht. Sie bogen links um die Ecke und verschwanden.
9
Ein wenig rutschend, dann durch eine Schneewehe stapfend, daß ihm der Schnee oben in die Stiefel fiel, bog Jack um die Ecke und in die Avenue ein. Er schaute nicht zurück, weil er fürchtete zu entdecken, daß ihm die Kobolde - wie Penny sie nannte - dicht auf den Fersen waren. Rebecca und die Kinder waren nur hundert Fuß vor ihm. Er eilte ihnen nach.
Zu seinem Entsetzen stellte er fest, daß sie die einzigen Menschen auf der breiten Avenue waren. Nur ein paar Wagen standen da, alle leer und verlassen, nachdem sie im Schnee steckengeblieben waren. Zu Fuß war niemand unterwegs. Und wer würde auch, wenn er auch nur halbwegs bei Verstand war, in einem orkanartigen Sturm zu Fuß unterwegs sein, mitten in einem Schneetreiben, das einem jede Sicht nahm?
Er holte Rebecca und die Kinder ein. Das war nicht weiter schwierig; sie kamen nicht mehr sehr schnell voran. Penny und Davey wurden schon müde. Im tiefen Schnee zu laufen war genauso, als hätte man Bleigewichte an den Füßen; der ständige Widerstand erschöpfte sie schnell.
Jack blickte den Weg zurück, den sie gekommen waren. Keine Spur von den Kobolden. Aber die Geschöpfe mit den Laternenaugen würden wieder auftauchen, und zwar schon bald. Er konnte nicht glauben, daß sie so leicht aufgaben.
Wenn sie wirklich kamen, würden sie leichte Beute vorfinden. In einer Minute würden sich die Kinder nur noch müde schlurfend im Schrittempo fortbewegen.
Jack fühlte sich auch nicht besonders munter. Sein Herz hämmerte so stark und schnell, als wolle es sich aus seiner Verankerung reißen. Sein Gesicht schmerzte von dem kalten, beißenden Wind, der ihm auch in die Augen stach, bis sie tränten. Seine Hände schmerzten ebenfalls und waren ein wenig taub, weil er keine Zeit gehabt
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