Wenn die Dunkelheit kommt
war. Er legte eine Hand an das zarte Gesicht seines Sohnes. Er kämpfte gegen die Tränen an. Er durfte jetzt nicht weinen. Die Kinder würden den letzten Halt verlieren, wenn er weinte. Außerdem, wenn er sich jetzt der Verzweiflung überließ, dann kapitulierte er - in einem kleinen, aber bedeutsamen Punkt -vor Lavelle. Lavelle war böse, nicht einfach ein Krimineller wie jeder andere, nicht bloß verkommen, sondern böse, im Innersten böse, eine Verkörperung des Bösen, und das wurde durch Verzweiflung erst zur vollen Entfaltung gebracht. Die besten Waffen gegen das Böse waren Hoffnung, Optimismus, Entschlossenheitund Glauben. Ihre Überlebenschancen hingen von ihrer Fähigkeit ab, weiter zu hoffen, zu glauben, daß das Leben (nicht der Tod) ihre Bestimmung war, zu glauben, daß das Gute über das Böse triumphieren konnte - einfach zu glauben. Er würde seine Kinder nicht verlieren. Er würde nicht zulassen, daß Lavelle sie bekam.
»Tja«, sagte er zu Davey, »für einen Wintermantel hat er zu viele Luftlöcher, aber ich glaube, dagegen können wir etwas unternehmen.« Er nahm seinen langen Schal ab, wickelte ihn über dem beschädigten Mantel des Jungen zweimal um dessen schmale Brust und knotete ihn über der Taille fest zusammen. »So. Damit müßten die Lücken geschlossen sein. Alles okay, Skipper?«
Davey nickte und gab sich alle Mühe, ein tapferes Gesicht zu machen. Er sagte: »Dad, meinst du nicht, du brauchst vielleicht ein Zauberschwert?«
»Ein Zauberschwert?« fragte Jack.
»Nun, braucht man so was nicht, wenn man eine Horde Kobolde töten will?« fragte der Junge ganz ernsthaft. »In den Geschichten haben sie meistens ein Zauberschwert oder einen Zauberstab, verstehst du, oder vielleicht ein bißchen Zauberpulver, damit wird dann immer dem Kobold, den Hexen, den Menschenfressern, oder was es eben ist, der Garaus gemacht. Ach ja, und was haben sie manchmal noch... einen Zauberstein, glaube ich, oder einen Zauberring. Du und Rebecca, ihr seid ja Kriminalbeamte, da ist es diesmal vielleicht eine Koboldpistole. Weißt du, ob das Polizeidezernat so was hat? Eine Koboldpistole?«
»Ich weiß es nicht genau«, sagte Jack, ohne eine Miene zu verziehen, er hätte den Jungen am liebsten umarmt und fest an sich gedrückt. »Aber das ist ein verflixt guter Vorschlag, mein Sohn. Ich werde das mal nachprüfen. Ich bin wirklich froh, daß du dir Gedanken darüber machst, wie man mit diesen Wesen fertig werden könnte. Es freut mich, daß du nicht aufgibst. Das ist das Wichtigste -nicht aufzugeben.«
»Sicher«, sagte Davey und reckte sein Kinn vor. »Das weiß ich.«
Penny beobachtete ihren Vater über Daveys Schulter hinweg. Sie zwinkerte ihm lächelnd zu. Jack zwinkerte zurück.
Zehn Uhr zwanzig. Mit jeder Minute, die ereignislos verstric h, fühlte sich Jack sicherer. Penny gab ihm einen sehr knappen Bericht über ihre Begegnung mit den Kobolden.
Als das Mädchen fertig war, schaute Rebecca Jack an und sagte: »Er hat sie ständig überwacht. Damit er immer genau wußte, wo er sie finden konnte, wenn es soweit war.«
Zu Penny sagte Jack: »Mein Gott, Baby, warum hast du mich letzte Nacht nicht geweckt, als das Ding in deinem Zimmer war?«
»Ich habe es ja nicht wirklich gesehen...«
»Aber du hast es gehört.«
»Das war alles.«
»Und der Baseballschläger -«
»Na ja«, sagte Penny, auf einmal sonderbar verlegen und ohne ihm in die Augen sehen zu können, »ich hatte Angst, du würdest glauben, daß ich wieder... verrückt... geworden bin.«
»Was? Wieder...?« Jack blinzelte sie an. »Was in aller Welt meinst du mit... >wieder«
»Tja ... du weißt doch... wie damals, als Mama starb, wie ich damals war... als ich meine... Schwierigkeiten hatte.«
»Aber du warst doch nicht verrückt«, sagte Jack. »Du hast nur ein wenig Beratung gebraucht; das ist alles, Schätzchen.«
»So habt ihr ihn genannt«, sagte das Mädchen, kaum hörbar. »Berater.«
»Das war er ja auch. Er sollte dir helfen, dir zeigen, wie du mit deinem Kummer über den Tod deiner Mama umgehen kannst.«
Das Mädchen schüttelte den Kopf. »Nein. Eines Tages war ich in seinem Büro und wartete auf ihn... und er kam nicht gleich rein, um mit der Sitzung anzufangen... da habe ich die College-Diplome an der Wand gelesen.«
»Und?«
Sichtlich verlegen sagte Penny: »Ich habe herausgefunden, daß er Psychiater war. Psychiater behandeln verrückte Leute. Und da wußte ich, daß ich ein wenig... verrückt
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