Wenn die Eltern alt werden
aus Mitleid gehandelt habe. EinePatientenverfügung lag nicht vor. Das Gericht warf dem Angeklagten jedoch vor, nicht versucht zu haben, das Abschalten der Geräte gerichtlich zu erwirken.
Da er selbst zur Tat schritt, könnte man dies auch als Fall von »aktiver« Sterbehilfe bezeichnen. In Deutschland ist diese sogar eine Straftat, auch wenn der/die Verstorbene der Tötung ausdrücklich zugestimmt hat, zum Beispiel in einer Patientenverfügung. Geregelt ist dies in § 216 Strafgesetzbuch:
Tötung auf Verlangen
(1) Ist jemand durch das ausdrückliche und ernstliche Verlangen des Getöteten zur Tötung bestimmt worden, so ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen.
(2) Der Versuch ist strafbar.
Passive Sterbehilfe erlaubt
Im Gegensatz dazu ist die »passive« Sterbehilfe möglich, etwa das Abschalten des Beatmungsgeräts durch den Arzt, wenn der Patient diesem zuvor zugestimmt hat, zum Beispiel in einer Patientenverfügung. Passive Sterbehilfe findet im Strafgesetzbuch bislang keine Beachtung. Der Bundesgerichtshof stärkte aber im Juni 2010 in einem Grundsatzurteil das Selbstbestimmungsrecht von Patienten, indem er urteilte, dass im strafrechtlichen Sinne eine entsprechende Patientenverfügung beachtet werden müsse. Dazu gehört das Unterlassen von lebenserhaltenden Maßnahmen ebenso wie die Verhinderung oder der gewollte Abbruch von Behandlungen (Aktenzeichen: BGH 2 StR 454/09) (siehe Kapitel Patientenverfügung).
Tödliche Medikamente für lebensmüde Patienten?
Doch was ist, wenn der oder die Betreffende noch nicht an einer lebenserhaltenden Maschine hängt oder es keine Patientenverfügung gibt? Dürfen Ärzte suizidwilligen Patienten tödliche Medikamente verschreiben oder übergeben? Strafrechtlich gesehen dürfen sie es – denn auch hier handelt es sich um »passive« Sterbehilfe. Doch bisher werden Ärzte bei dieser Frage durch ihr eigenes Standesrecht blockiert, das den »ärztlich assistierten Suizid« ablehnt. Zudem droht möglicherweise durch die Hintertür doch wieder das Strafrecht – und zwar wegen »unterlassener Hilfeleistung«.
Mit solchen Fragen tun sich Politik und Gesellschaft in Deutschland schon lange schwer. Auch innerhalb der Ärzteschaft gibt es keine einheitliche Meinung. Als der ehemalige Präsident der Bundesärztekammer Jörg-DietrichHoppe für eine Abschwächung der Verbotsformulierungen eintrat, fuhr ihm sofort der Vorsitzende des Marburger Bundes, Rudolf Henke, in die Parade: »Ich bin entschieden gegen einen Kurswechsel und auch dagegen, dass wir den Eindruck eines Kurswechsels erwecken«, so Henke gegenüber
WELTonline
Ende 2010.
Der Fall Timo Konietzka
Wer selbstbestimmt und schmerzfrei aus dem Leben scheiden will, hat es in Deutschland also schwerer als in manchen Nachbarländern. So bleibt fast immer nur der Weg in ein anderes Land, welches dies ermöglicht. Wie zum Beispiel in die Schweiz, die Timo Konietzka gewählt hat. Der erste Torschütze der 1963 gegründeten Bundesliga war mit 73 Jahren an Gallenkrebs erkrankt und wusste, dass er nicht mehr lange zu leben haben würde. Doch Schmerzen und Siechtum im Endstadium wollte er sich ersparen.
Also kontaktierte der frühere Fußballer, der auch die Schweizer Staatsbürgerschaft besaß, im März 2012 die Schweizer Organisation Exit und trank einen Giftcocktail. In einer Todesanzeige, die am Folgetag in der
BILD
erschien, schrieb Konietzka: »Ich möchte mich an dieser Stelle ganz herzlich bei Exit bedanken, die mich am Montagnachmittag von meinen Qualen erlöst und auf dem schweren Weg begleitet haben.«
Plädoyer für eine ärztliche Sterbebeihilfe
Macht dieser Satz den Eindruck, als ob Konietzka gewissenlosen Geschäftemachern zum Opfer gefallen ist? Eugen Brysch von der Deutschen Hospiz Stiftung jedenfalls fand es »entsetzlich«, dass Schweizer Sterbehilfevereine durch die Selbstmordbegleitung Prominenter versuchen würden, Öffentlichkeit für ihr Geschäftsmodell zu erlangen. Man könnte es vielleicht auch »entsetzlich« finden, dass die Gegner der Sterbehilfe offenbar kein Wort darüber verloren, dass Konietzkas Entscheidung großen Respekt verdient, unabhängig davon, ob Exit nun ein Geschäft gemacht hat oder nicht.
Angebot zum Leben
Auch der jetzige Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, nahm den Fall Konietzka zum Anlass, erneut die ärztlich assistierte Sterbehilfe zu attackieren: »Unsere Position ist eindeutig: Als Sterbehelfer stehen wir nicht zur
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