WENN DIE LUST ENTLAMMT
Achseln, und um Gabriel abzulenken, zog sie den Morgenmantel, der bedenklich tief gerutscht war, nicht wieder über ihre Schultern. „Die traurige Wahrheit ist, bei all den Partys und Reisen und meiner ungezügelten Vorliebe für Designerkleidung und Dom Pérignon und Seidenunterwäsche … na ja, es gibt ihn nicht mehr.“
„Meinst du das ernst?“ Er sah sie finster an, offenbar nicht sicher, ob er ihr glauben konnte oder nicht.
Sie zuckte nicht mit der Wimper. „Todernst.“
„Und das hier?“ Er wies noch einmal auf den winzigen Raum mit dem wie Texas geformten Wasserfleck auf der Wand zwischen den zwei schmalen Fenstern.
Mallory hob leicht das Kinn an. „Zu mehr reicht es nicht.“
Er erstarrte einen Moment, und der Blick seiner grünen Augen schien sie durchbohren zu wollen. Dann stieß er ein derbes Schimpfwort aus, wandte sich ab und ging weiter in den Raum hinein. Aber schon nach ein paar Schritten war Gabriel an der Wand mit den beiden Fenstern angekommen.
„Pack ein, was du für heute Nacht brauchst“, befahl er, immer noch mit dem Rücken zu ihr stehend. „Morgen schickeich jemanden, der alles Übrige abholt.“
Er hätte sie nicht mehr überraschen können, wenn er sich auf den Boden geworfen und ihr gebeichtet hätte, dass er ohne sie nicht mehr leben könne. „Was?“
Er wirbelte zu ihr herum. „Ich sagte, pack das Nötigste ein. Du bleibst keine Nacht länger hier.“
Sie musste träumen. Es kam ihr vielleicht so vor, als wäre sie wach, aber in Wirklichkeit war sie auf dem unbequemen kleinen Klappsofa eingeschlafen, und alles, was ihr so echt vorkam – der kühle Linoleumboden unter ihren Füßen, der schwache aufregende Duft von Gabriels Rasierwasser, die Nervosität, die seine Nähe immer in ihr hervorrief –, war nur ein Produkt ihrer Fantasie.
„Und wo soll ich hingehen?“, fragte Mallory verblüfft.
„Zu mir.“
Es war also doch kein Traum. Einen so verrückten Streich würde ihr Unterbewusstsein ihr niemals spielen So einsam und verzweifelt konnte sie gar nicht sein, dass sie jemals daran denken würde, zu Gabriel zu ziehen, um ihre Probleme zu lösen.
Das wäre ja, als würde sie einen Käfig mit einem Tiger teilen – vielleicht eine halbe Sekunde lang faszinierend, aber danach einfach nur furchterregend.
Warum hatte sie dann – wenn auch nur einen Moment lang – den unwiderstehlichen Wunsch, sein Angebot anzunehmen? Warum wollte sie die Augen schließen, sich in seine Arme schmiegen und ihn bitten, auf sie aufzupassen?
Eine Angewohnheit, sagte sie sich verärgert. Daran waren achtundzwanzig Jahre lotterhaften Lebens schuld, in denen sie immer nur den leichten Weg gewählt und anderen erlaubt hatte, ihr Schicksal zu bestimmen. Als man sie von ihrem Zuhause vertrieben hatte, das seit neunzig Jahren in Familienbesitz gewesen war, hatte sie sich geschworen,dass sie das nie wieder zulassen würde.
Und diesen Schwur würde sie unter keinen Umständen brechen, selbst wenn sie deswegen viele Jobs verlieren oder häufig auf ein Mittagessen verzichten musste, um über die Runden zu kommen, oder ein Leben lang in einem Loch wie diesem wohnen musste. Und wenn das hieß, dass sie sich Gabriel widersetzen musste, der immerhin für ihre jetzige Situation verantwortlich war, dann war das sogar noch besser.
„Herzlichen Dank“, sagte sie mit unverhohlener Unaufrichtigkeit, „aber ich verzichte.“
Mallory hatte ihn immer für klug gehalten – klüger als ihr oft angenehm gewesen war –, und auch jetzt enttäuschte er sie nicht. „Du willst nicht mit zu mir kommen? Gut. Dann such dir ein Hotel aus. Dort kannst du bleiben, bis ich etwas anderes arrangiert habe.“
Sie dachte an ihre letzte Erfahrung mit einem Hotel und schauderte. Aber sie konnte ihre Neugier nicht verbergen. „Das würdest du tun? Mich auf deine Kosten irgendwo unterbringen? Selbst wenn ich dir sage, dass ich deinen Anteil an allem, was geschehen ist, niemals vergessen werde?“
„Ja.“
„Selbst wenn ich nicht mit dir schlafe, egal wie freundlich du dich jetzt auch gibst?“
„Noch mal, ja. Außerdem erinnere ich mich nicht, dich darum gebeten zu haben.“
„Warum machst du es dann? Was springt für dich dabei heraus?“
Er zuckte die breiten Schultern. „Ein ruhiges Gewissen. Man muss kein Experte sein, um zu erkennen, dass diese Wohnung nicht sicher ist. Die Eingänge zum Gebäude sind nicht gesichert, es gibt keinen Riegel an deiner Tür, und ich wette ein Jahresgehalt, dass ein
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