Mercy Thompson 02 - Bann des Blutes-retail
1
W ie die meisten Leute, die ein eigenes Geschäft haben, beginne ich schon sehr früh am Morgen mit der Arbeit und bleibe oft sehr lange auf. Wenn mich daher jemand mitten in der Nacht anruft, sollte es lieber um Leben oder Tod gehen.
»Hallo, Mercy«, sagte Stefans freundliche Stimme am Telefon. »Könntest du mir wohl einen Gefallen tun.«
Stefan hatte seinen Tod schon lange hinter sich, also sah ich keinen Grund, nett zu sein. »Ich bin um« – verschlafen blinzelte ich die Ziffern meines Weckers an – »drei Uhr morgens ans Telefon gegangen.«
Na gut, das ist nicht alles, was ich sagte. Ich habe noch ein paar von diesen Worten hinzugefügt, die Mechaniker bei widerspenstigen Schrauben oder Lichtmaschinen benutzen, die auf ihren Zehen landen.
»Ich nehme an, du brauchst noch einen zweiten Gefallen«, fuhr ich fort, »aber ich würde es vorziehen, wenn du jetzt auflegst und mich zu einem zivilisierteren Zeitpunkt wieder anrufst.«
Er lachte. Vielleicht dachte er, ich mache Witze. »Man hat mir einen Auftrag erteilt, und ich glaube, deine besondere Begabung würde mir dabei eine große Hilfe sein.«
Alte Geschöpfe neigen zumindest nach meiner Erfahrung dazu, sich ein bisschen vage auszudrücken, wenn sie einen um etwas bitten. Ich bin Geschäftsfrau, und ich glaube fest daran, dass es hilfreich ist, so schnell wie möglich zur Sache zu kommen.
»Du brauchst um drei Uhr nachts eine Mechanikerin?«
»Ich bin ein Vampir, Mercedes«, sagte er sanft. »Drei Uhr morgens ist eine gute Zeit für mich. Aber ich brauche keine Mechanikerin. Ich brauche dich. Und du bist mir einen Gefallen schuldig.«
So ungern ich das zugab – das stimmte. Er hatte mir geholfen, als die Tochter des hiesigen Alpha-Werwolfs entführt worden war. Und er hatte mich gewarnt, dass er diese Schuld irgendwann eintreiben würde.
Also gähnte ich, setzte mich hin und gab alle Hoffnung auf, bald wieder schlafen gehen zu können. »Na gut. Was kann ich für dich tun?«
»Ich soll einem Vampir, der sich ohne Erlaubnis meiner Herrin hier aufhält, eine Nachricht überbringen«, rückte er endlich mit der Sprache raus. »Und ich brauche einen Zeugen, den er nicht bemerken wird.«
Er legte auf, ohne auf meine Antwort zu warten oder mir auch nur zu sagen, wann er vorbeikommen würde. Es würde ihm nur recht geschehen, wenn ich wieder einschlief.
Leise fluchend zog ich mich stattdessen an: Jeans, das T-Shirt von gestern – inklusive Senffleck – und zwei Socken, die zusammen nur ein Loch hatten. Sobald ich mehr oder weniger bekleidet war, schlurfte ich in die Küche und goss mir ein Glas Kronsbeerensaft ein. Es war Vollmond, und mein Mitbewohner, der Werwolf, war mit dem Rudel unterwegs, also brauchte ich ihm nicht zu erklären, wieso ich mich mit Stefan treffen würde. Was ein glücklicher Umstand war.
Samuel war kein schlechter Mitbewohner, aber er hatte eine besitzergreifende und diktatorische Ader. Nicht, dass ich ihm das durchgehen ließ, aber Streitereien mit Werwölfen verlangten eine gewisse Subtilität, die mir für gewöhnlich abging, besonders – ich warf einen Blick auf meine Armbanduhr – morgens um Viertel nach drei.
Ich bin von Werwölfen aufgezogen worden, aber ich selbst bin keiner. Ich bin keine Dienerin der Mondphasen, und wenn ich meine Kojotengestalt annehme, sehe ich aus wie alle anderen Canis Latrans. Die Schrotnarben an meinem Rücken beweisen das.
Eigentlich kann man einen Werwolf nicht mit einem normalen Wolf verwechseln: Werwölfe sind viel größer als ihre nicht-übernatürlichen Gegenstücke, und erheblich furchterregender.
Ich nenne mich Walker, obwohl ich sicher bin, dass es auch einmal einen anderen Namen dafür gab – einen indianischen Namen, der verloren ging, als die Europäer die Neue Welt überrannten. Mein Vater hätte ihn mir vielleicht verraten können, wäre er nicht bei einem Autounfall gestorben, bevor er auch nur erfuhr, dass meine Mutter schwanger war. Also weiß ich nur, was die Werwölfe mir sagen konnten, und das war nicht viel.
Der Begriff »Walker« lässt sich zurückführen auf die Skinwalker der südwestlichen Indianerstämme, aber zumindest nach allem, was ich gelesen habe, habe ich mit einem Skinwalker weniger gemein als mit den Werwölfen. Ich übe keine Magie aus. Ich brauche keine Kojotenhaut, um die Gestalt zu wechseln – und ich bin nicht bösartig.
Ich trank meinen Saft und schaute aus dem Küchenfenster. Den Mond selbst konnte ich nicht sehen, nur das silberne
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