Wenn die Nacht in Scherben fällt (German Edition)
bewegen. Sie waren immer noch in der Traumwelt, dies war nicht sein echter Körper, auch wenn es sich so anfühlte. Er musste keine Schmerzen empfinden!
Natürlich half dieses Wissen nicht viel. Es schmerzte trotzdem. Aber der winzige Moment der Klarheit reichte aus, damit Jari es fertigbrachte, die Arme in die Höhe zu reißen und sich an Seths Nacken zu klammern. Mit aller Kraft hielt er sich fest.
Der Kater fauchte wütend, stemmte sich hoch und versuchte, sich aus Jaris Griff zu winden. »Lass los!« Seine Stimme war nur noch ein Grollen tief in seiner Kehle. Aber Jari ließ nicht los. Im Gegenteil.
Das Leuchten des Mals auf Seths Brust war ihm nun ganz nah. Irgendwie musste er es schaffen, seine Hand darauf zu legen, damit die Dunkelheit, die Fae ihm zur Waffe gegeben hatte, ihren Weg finden konnte. Aber wie, wenn er doch beide Arme brauchte, um sich festzuklammern? Seth saß nun rittlings auf ihm und klemmte Jaris Hüften zwischen seinen Knien ein wie in einem Schraubstock, während er ihn an den Schultern von sich zu drücken versuchte. Gleichzeitig zwang er ihn immer weiter in Richtung der gefährlichen Kante. Er war stark. Viel stärker, als Jari je sein würde.
Jaris rechtes Bein hing noch immer über den Rand des Grats. Verzweifelt bemühte er sich, irgendwo Halt zu finden, sich wenigstens ein Stück weit vom Abgrund wegzuschieben. Aber er erreichte nur, dass noch mehr Splitter unter seinem Fuß wegbröckelten.
Und dann kam Jari ein Gedanke. Ein wilder, aus seiner Verzweiflung geborener Gedanke, von dem er sofort wusste, dass es vielleicht sein letzter sein würde.
Wenn er fiel, würden sie beide fallen.
Also ließ er los. Von einem Augenblick zum anderen hörte er auf, sich zu wehren, und ließ zu, dass Seths gesamte Kraft ihn mit voller Gewalt traf und ihn in den Abgrund schleuderte. Jari hörte Seth überrascht keuchen, sah, wie er, von dem plötzlichen Verlust des Widerstands überrascht, ebenfalls taumelte. Für einen kostbaren Moment verlor der Kater die Kontrolle über seine Bewegungen.
Wie in Zeitlupe verfolgte Jari, wie sein eigener Arm sich streckte. Wie seine Hand, schon im Sturz, nach dem Mal auf Seths Brust griff und es im letzten Augenblick streifte. Und Faes Dunkelheit, die wie schwarze Spinnenfäden aus seinen Fingern schoss und in Sekundenschnelle ein Netz um den Kater spann.
Seth brüllte, ein Schrei wie von einem wilden Tier. Das Licht in seiner Brust flackerte und sickerte an den Fäden entlang nach draußen, verlor sich gleichzeitig mit der Gestalt von Jaris Körper, die er nicht mehr zu halten vermochte, während das Netz sich um ihn schlang und ihn einwob in einen dichten Kokon aus Schwärze.
Das war das Letzte, was Jari sah, ehe der Rand des Grats aus seinem Blickfeld verschwand und es auch um ihn stockfinster wurde.
***
Fae hatte, seit Nele ihre Zustimmung zu ihrem Plan gegeben hatte, kein Wort mehr gesagt. Die Glashalle lag in Schweigen, und auch Nele wagte nicht zu sprechen. Nicht einmal mit Tora, die unverändert wachsam am Fuß der Treppe Stellung hielt. Es war nicht nur, dass Fae stumm blieb. Die Göttin schien gar nicht mehr wirklich da zu sein. Ihr Blick ging ins Leere, als würde sie etwas sehen, das Nele verborgen blieb. Ab und an zuckte ein Muskel in ihrem ansonsten völlig reglosen Gesicht, ihre Augen huschten hin und her, oder ihre Finger, die nach wie vor Neles Hand hielten, verkrampften sich. Nele fühlte sich alles andere als wohl, und mehr als einmal war sie nur um Haaresbreite davon entfernt, doch den Mund aufzumachen und zu fragen, was Fae sah. Beobachtete sie Jari? Verfolgte sie seinen Kampf gegen Seth? Was geschah dort draußen?
Aber sie tat es nie. Wenn sie Fae nun ablenkte und sie so vielleicht davon abhielt, einzugreifen, wenn es zu schlecht für Jari aussah, dann hätte sie sich das nie verziehen. Und selbst wenn sie auf diesen vernünftigen Gedanken nicht von allein gekommen wäre– ein einziger Blick in Toras strenge Miene hätte sie dennoch davon abgehalten, sich auch nur zu hastig zu bewegen.
Endlich kehrte das Leben in Faes Gesicht zurück– wenn man das bei ihren maskenhaft glatten Zügen überhaupt so nennen konnte. Ein Schauer lief durch ihren Körper, in ihren Augen flackerte es. Und dann verzog ein Lächeln ihre Lippen, das ihre strahlend weißen Fangzähne aufblitzen ließ.
Nele konnte sich nicht länger zurückhalten. »Und? Was ist?« Sie bemerkte kaum, dass sie vor Aufregung auf die Füße gesprungen war. »Wie ist es
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