Wenn die Nacht in Scherben fällt (German Edition)
wie es ist? Das Nachtglas zerstört, die Menschen in Angst? Wohl kaum.« Fae schüttelte den Kopf. »Nein. Wir müssen den Normalzustand wiederherstellen. Und dazu, Nele, bist du der Schlüssel.«
Es fiel Nele immer noch schwer, kein außergewöhnlich dummes Gesicht zu machen. »Aber wie?«, fragte sie. »Was kann ich denn tun?«
Faes Blick schien nun direkt in sie hineinzusehen. »Du bist eine Klarträumerin. Ein ganz besonderer Mensch. Du bist diejenige, die den verlorenen Träumer zurückbringen konnte. Und du bist auch diejenige, die das Nachtglas heilen kann.«
Das Nachtglas heilen. Die Worte der Göttin schwebten in der Luft, so nah, dass sie auf Neles Haut prickelten, und doch so wenig greifbar wie ein Atemhauch. Es klang einfach zu unglaublich. Aber auf der anderen Seite– war es nicht genau das, was sie selbst noch vor wenigen Stunden gedacht hatte, als sie die Blütenblätter in der Hand hielt? Sie konnte diesen Riss kitten! Fae hatte sie dabei beobachtet. Darum hatte sie gelächelt, ehe sie ging. Und auch jetzt lächelte sie, als könne sie jeden einzelnen von Neles Gedanken deutlich hören.
»Die Welt, aus der du kommst, befindet sich derzeit in einem Zustand des Halbträumens«, erklärte sie. »Da das Nachtglas die Welten nicht mehr vollständig trennt, gelangen Träume in deine Stadt und können sich dort frei bewegen. Menschen träumen am helllichten Tag mit wachen Augen oder bleiben gleich in ihren Traumkammern. Wenn du nur wüsstest, wie konfus die Traumwelt inzwischen ist… Aber vielleicht kannst du es dir vorstellen. Du hast ja gesehen, was auf eurer Seite los ist.«
Nele nickte. Oh ja. Sie hatte zumindest eine Ahnung, in welcher Aufruhr die Wächter der Träume sein mussten, die nun auf beiden Seiten wachten. So erklärte sich also endlich auch, warum die Katzen in den letzten Tagen so allgegenwärtig gewesen waren.
»Dies ist jedenfalls der Punkt, an dem du ins Spiel kommst«, erklärte Fae weiter. »Du kannst in deiner Realität natürlich keine Träume formen, wie du es in der Traumwelt tust. Aber du bist in der Lage, etwas viel besseres zu tun: Du kannst Träume, die irrtümlich in deine Welt gelangt sind, wieder ihrer Form berauben. So, wie du es mit diesen Blütenblättern auf der Kreuzung getan hast.« Sie lächelte. »Und da ungeformte Träume die Grundsubstanz des Nachtglases sind, werden sie zurückfließen und es heilen. Jeder Traum wird ein kleines Stück des Bruches kitten. Und da das Gleichgewicht mit Jaris Rückkehr wiederhergestellt ist, wird es auch keine neuen Risse geben.«
Nele konnte die Göttin nur stumm anstarren. So abstrus das alles auch klang, es ergab Sinn. Ja, es erschien ihr geradezu erschreckend logisch. Und trotzdem… konnte das ernsthaft Faes Plan sein? Sie, Nele, sollte ganz allein all diese wildgewordenen Träume zurück ins Nachtglas schicken? Die Bojen, die Abermillionen Blütenblätter, die Geldscheine, und wer wusste, was sonst noch? Nicht zu vergessen die Kreaturen, die aufgetaucht waren, sich jetzt aber irgendwo in der Stadt versteckten? Das war doch…
Fae lächelte ein schmales Lächeln. »Du willst sagen, es sind viel zu viele, nicht wahr? Du willst sagen, dass du das allein niemals schaffen kannst.«
Nele nickte. »Es würde ewig dauern, all diese Träume zu suchen«, erklärte sie. »Und selbst wenn ich mein Bestes gebe, finde ich sie bestimmt doch nicht alle. Wie soll das gehen?«
Fae schloss die Augen und senkte den Kopf. Ihr Lächeln vertiefte sich. Und als sie den Blick wieder hob, leuchtete etwas im Kristallgrau ihrer Iris, das Nele als Schalk bezeichnet hätte, wäre die Situation nicht so absurd ernst gewesen.
»Aber du wirst nicht allein sein, Nele«, sagte die Göttin. »Wir werden abwarten, bis der Kampf zwischen Jari und Seth ausgetragen ist. Und dann, mit deiner Erlaubnis, komme ich mit dir.«
Am Fuß der Treppe hörte Nele Tora ein ungläubiges Zischen ausstoßen. Sie selbst war nicht weniger überrascht. Fae wollte… hatte sie nicht vorhin noch gesagt…?
»Ich möchte deinen Körper nutzen, Nele«, erklärte Fae behutsam. »Und deine Fähigkeiten. Deshalb brauche ich dein Einverständnis, denn ich werde mich dir nicht aufzwingen. Du musst auch keine Angst haben, dass ich mich an deinen Menschenkörper klammere, wie Seth das tut. Ich liebe mein Reich und würde es nie im Stich lassen. Ich will nur, dass wir gemeinsam die Träume in Erlfeld aufspüren und sie dorthin zurückschicken, wo sie hingehören. Gemeinsam können
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