Wenn die Nacht in Scherben fällt (German Edition)
ihren Augen schimmerten.
»Ich enthebe dich«, sagte sie leise, »für die nächsten hundert Jahre deines Wächterstatus. Erst dann sollst du eine neue Chance bekommen, dich zu beweisen.«
Der Atem blieb Seth in der Kehle stecken, und für einen winzigen Augenblick glomm eine völlig irrationale Hoffnung in ihm auf. Was sagte sie da? Eine neue Chance? Er musste sich verhört haben. Oder?
Aber ihm blieb keine Zeit mehr, zu ergründen, was er bei diesen Worten empfand. Fae zögerte eine Strafe niemals hinaus. Auch bei ihm nicht.
Seine Sinne und Gedanken schwanden. Dichtes Grau, durchsetzt mit roten Schlieren kroch von allen Seiten auf ihn zu und verschluckte, was er war, was ihn ausmachte und was er noch hätte sein können.
Vorbei , das war sein letzter Gedanke.
Und ein leises »Leb wohl, Seth.« das Letzte, was er für lange Zeit von Fae hören sollte.
Der Rückweg durch die abendliche Stadt schien Nele unendlich weit. Es war, als wäre ganz Erlfeld aus einem langen Schlaf erwacht. Überall traten Menschen vor die Türen und starrten verwundert in den Himmel. Andere standen mitten auf der Straße, als wüssten sie nicht recht, wie sie dorthin gekommen waren. An jeder Ecke herrschte Verwirrung und fast noch mehr Chaos als zuvor. Aber es war ein ruhiges, geradezu friedliches Chaos, und Nele war froh darüber. So fiel es wenigstens niemandem auf, dass sie wie ein angeschossenes Reh durch die Straßen schlich.
Als sie endlich das Haus erreichte, in dem sie wohnte, war es schon fast dunkel. Hinter dem Küchenfenster brannte Licht, und als Nele in die Diele stolperte, kam auch schon ihre Mutter aus der Küche gestürzt.
»Nele!« Mommi riss sie förmlich an sich und drückte sie so fest, dass Nele glaubte, keine Luft mehr zu bekommen. »Oh Gott, du bist wieder da! Charlotte hat angerufen und eine haarsträubende Geschichte erzählt, du wärst entführt worden und… Kind, wo warst du denn nur? Geht es dir gut?«
Nele schloss die Arme um ihre Mutter und hielt sich an ihr fest. Sie konnte nicht gleich antworten, weil ihr vor grenzenloser Erleichterung, endlich wieder daheim zu sein, der Atem fehlte. So strich sie Mommi nur immer wieder über den Rücken und drückte die Nase fest in ihre Strickjacke.
»Ich habe mich verlaufen«, murmelte sie endlich. »Ich war furchtbar weit weg.«
Mommi drückte sie noch ein wenig fester. »Dieser ganze Irrsinn… In der Stadt war ja heute überall ein heilloses Durcheinander. Und du da draußen, meine Güte!« Sie lachte ein wenig hilflos. Dann seufzte sie schwer. »Aber dann kannst du mir wohl auch nicht erklären, wer dieser Junge ist, der in unserem Wohnzimmer schläft?«
Eine Sekunde zuvor noch hatte Nele das Gefühl gehabt, am liebsten für alle Ewigkeit so mit ihrer Mutter im Flur stehen zu wollen. Aber nun wand sie sich energisch aus Mommis Armen. Jari! Richtig, sie hatte ihn ja hier zurückgelassen. »Er ist noch da?«
Sie wartete Mommis Antwort gar nicht erst ab, sondern stürzte direkt durch den Flur und riss die Wohnzimmertür auf. Und tatsächlich. Auf dem Sessel, fest zusammengerollt, lag Jari, noch immer friedlich schlafend.
»Jari«, flüsterte sie und hatte das Gefühl, ihre Brust müsse vor Glück zerspringen. Dann aber fiel ihr ihre Mutter ein, die ihr gefolgt war und sie noch immer ratlos und besorgt musterte. Nele drehte sich zu ihr um und sah sie entschuldigend an. Aber das Lächeln konnte sie nicht von ihrem Gesicht fernhalten. Sie wollte es auch gar nicht.
»Ich kann dir das alles nicht erklären, Moms. Ehrlich, ich weiß auch nicht… was genau da alles passiert ist. Das ist Jari, er geht in meine Schule, aber… ach. Lass uns morgen darüber reden, ja? Ich bin so schrecklich müde. Und… ich… wäre gern kurz mit Jari allein. Er kann doch hier schlafen? Nur bis morgen?« Sie spürte, wie ihre Wangen bei diesen Worten in Flammen aufgingen.
Mommi schüttelte leicht den Kopf. Sie wirkte resigniert. Aber immerhin schien ein Großteil ihrer Sorge sich beruhigt zu haben, jetzt wo sie sah, dass ihre Tochter wirklich unversehrt zurückgekehrt war.
»Du weißt nicht, was passiert ist«, murmelte sie. »Ja… wer weiß hier überhaupt noch irgendetwas?« Erneut schüttelte sie den Kopf, diesmal energischer. Dann zog sie Nele noch einmal an sich und drückte sie fest. »Also gut, du hast recht. Du hast den Schlaf sicher nötig. Und morgen versuchen wir dann, es irgendwie zusammenzupuzzlen.« Sie warf einen langen Blick auf Jari, ehe sie ihre Tochter ein
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