Wenn du lügst

Titel: Wenn du lügst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Salter

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Protokoll gehalten, die Genehmigung eingeholt, das Gefängnis betreten zu dürfen, und den Häftling die Einwilligungserklärung unterschreiben lassen. Ich hatte weder ein Handy oder Schlüssel bei mir, noch hatte ich so etwas wie ein Plastikmesser mitgebracht, um damit einen Apfel zu schälen. Tatsächlich trug ich noch nicht einmal einen Bügel-BH, weil ich wusste, dass er die Metalldetektoren auslösen würde. Was also konnte er von mir wollen?
    Er sah aus, als ob er darauf wartete, dass ich etwas sagen würde, doch als ich das nicht tat, räusperte er sich und sagte: »Ich komme gleich zum Punkt. Ich möchte wissen, wie Ihr Gutachten über Collins ausfallen wird.«
    Ich war so überrascht, dass ich blinzelte. Weshalb interessierte
er sich dafür? Collins würde dieses Gefängnis verlassen, ob nun Sicherungsverwahrung angeordnet werden würde oder nicht. Dann begriff ich: Er musste sie gekannt haben, die Mitarbeiterin, die Collins attackiert hatte. Er könnte vor zehn Jahren hier gewesen sein. Keine Frage, er kannte sie.
    »Ich weiß es noch nicht sicher. Ich muss noch die Ergebnisse der standardisierten Instrumente zur Kriminalprognose abwarten, die wir inzwischen einsetzen, um Risikoprofile zu erstellen.« Ich machte eine Pause. Er sah auf die Schreibtischplatte, als überlegte er, wie er seine Entgegnung formulieren sollte.
    »Aber ich werde Ihrer Frage nicht ausweichen«, fuhr ich fort. »Ich glaube nicht, dass er die Kriterien für eine Sicherungsverwahrung erfüllt. Er ist ohne Zweifel gemeingefährlich - das geht aus den Akten klar hervor. Und manipulativ. Er wird ohne Frage weitere Verbrechen begehen. Das Gesetz verlangt jedoch, dass bei ihm sexuelle Triebhaftigkeit als Motiv festgestellt wird und er mit hoher Wahrscheinlichkeit weitere sexuelle Straftaten begehen wird. Er hat sich schlichtweg nicht auf Sexualverbrechen spezialisiert, doch das ist die gesetzliche Voraussetzung.«
    »Er hat ein Sexualdelikt begangen«, sagte der Direktor mit neutraler Stimme.
    »Ja, das weiß ich - gegen die Therapeutin, während seiner Haftzeit hier -, und offen gesagt glaube ich, dass er mehr als eins begangen hat. Nur leider ist es das Einzige, das in seinen Akten erwähnt wird. Was auch immer er sonst noch verbrochen hat, dafür wurde er weder angeklagt noch verurteilt.«
»Ich habe da einen Bericht, von dem ich gern möchte, dass Sie ihn lesen«, erwiderte er. »Er prahlt gegenüber einem Spitzel damit, auf ›Schlampenjagd‹ gegangen zu sein.«
    »Was bedeutet das?«
    »›Schlampenjagd‹ ist sein Ausdruck für eine frühere Gepflogenheit von ihm und seinem Bruder, bei der sie zwölfjährige Mädchen zu sich nach Hause lockten, in den Keller herunterbrachten und dort vergewaltigten. Er hat die Wände mit Matratzen isoliert, um die Schreie zu dämpfen.«
    »Er wurde dafür nie angeklagt, oder?«
    »Spielt das wirklich eine Rolle? Das kann doch nicht Ihr Ernst sein.«
    »Ich mache diese Gesetze nicht«, erwiderte ich ruhig. »Es steht nichts darüber in seinen Akten, deshalb erscheint es eher aussichtslos, irgendwelche früheren Sexualstraftaten zu beweisen, es sei denn, die Jury wäre bereit, Ihrem Spitzel zu glauben, aber ich nehme an, dessen Lebenslauf ist genauso miserabel wie Collins’. Es gibt keine echte Möglichkeit, das Gesetz in diesem Punkt zu umschiffen: Es muss bewiesen sein, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit ein weiteres Sexualverbrechen begehen wird.«
    Ich sah den Ausdruck auf Direktor Stevens’ Gesicht und sprach weiter, um ihm begreiflich zu machen, dass die Entscheidung nicht bei mir lag. »Hören Sie, ich will genauso wenig wie Sie, dass ein derart gefährlicher Mistkerl frei herumläuft. Allerdings bezweifle ich, dass ich irgendetwas dagegen unternehmen kann. Heutzutage erstellen wir diese Gutachten nicht mehr, indem wir diese
Typen befragen und anschließend eine Einschätzung abgeben. Zu viele Psychologen wurden hinters Licht geführt. Ich bin mir sicher, Sie wissen, wie solche Täter Menschen manipulieren können. Deshalb benutzen wir inzwischen objektive Instrumente, um eine Risikoeinschätzung zu erhalten. Sie funktionieren genau wie die versicherungsstatistischen Tabellen, die von Versicherungen verwendet werden. Der Straftäter erhält Punkte für verschiedene Faktoren, anschließend vergleichen wir die Ergebnisse mit den Rückfallquoten von Personen mit derselben Punktezahl.
    Aber ich will Sie nicht mit den Details langweilen. Die Tatsache, dass Collins nie zuvor wegen eines