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Wenn Du Luegst

Titel: Wenn Du Luegst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Salter
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Oberfläche gekämpft hatte. Einmal sah ich ihn bis zu den Knien im Wasser nach mir Ausschau haltend, das nächste Mal, als ich auftauchte, war er verschwunden. Wie ein
riesiges, klauenbewehrtes Tier musste die Strömung auch ihn erwischt haben.
    Ich bekam mich wieder unter Kontrolle und begann, seitwärts und parallel zum Strand zu schwimmen. Das ist die einzige Möglichkeit, aus so einem Sog herauszukommen. Diese Strömungen sind zu stark, um gegen sie anzuschwimmen, und jeder, der versuchen würde, auf direktem Weg zurück zum Strand zu gelangen, würde schließlich vor Erschöpfung ertrinken, während er gleichzeitig weiter und weiter aufs Meer hinausgetrieben würde. Aber solche Strömungen sind schmal, und indem man sich seitwärts bewegt, kann man sich aus ihnen befreien und anschließend ans Ufer schwimmen.
    Es schien ewig zu dauern. Als ich mich endlich aus der Strömung herausgekämpft hatte, war das Ufer so weit weg, dass ich es kaum noch sehen konnte. Wäre da nicht noch ein Rest Mondlicht gewesen, hätte ich es vielleicht nicht gekonnt. Ich fing an, den langen Weg zurückzuschwimmen.
    Als ich mich schließlich ans Ufer schleppte, war ich zu erschöpft, um auch nur einen klaren Gedanken fassen zu können. Charlie war nirgends zu sehen, deshalb nahm ich an, dass er am Leben war, denn ansonsten wäre da eine Leiche gewesen. Ganz bestimmt hatte Leroy sie nicht fortgeschafft. Ich lief den Strand hinauf zurück zu meinem Auto und fuhr auf direktem Weg zum Polizeirevier. Ich ließ den diensthabenden Beamten Carl anrufen. Er kam, sofort hellwach, ans Telefon, und ich erzählte ihm, dass Lily vermisst wurde und was mit Leroy geschehen war. Carl traf keine zehn Minuten später auf dem Revier ein, und ich berichtete ihm
die ganze Geschichte noch einmal, diesmal im Detail. Ich war noch immer triefend nass, zumindest aber in eine Decke gehüllt, die ein Beamter mir gegeben hatte. Carl sprach ruhig, aber ich konnte den Zorn in seinen Augen sehen.
    »Ich will Sie nicht kritisieren, Breeze. Ich weiß, dass die Menschen verrückte Dinge tun, wenn das Leben eines Kindes auf dem Spiel steht. Aber Typen wie Leroy spielen nicht nach den Regeln. Sie hätten wissen müssen, dass er vorhatte, Sie zu töten, als er darauf bestand, Sie mitten in der Nacht am Strand zu treffen. Wenn er also vorhatte, Sie zu töten, hätte er das Mädchen zweifellos ebenfalls getötet, falls das nicht schon geschehen war. Andernfalls hätte sie gegen ihn aussagen können. Ich wünschte, Sie hätten uns eingeweiht.« Ich öffnete den Mund, dann schloss ich ihn wieder. Von der Warte der Vernunft aus betrachtet, ohne die lähmende Angst um Lily und das Wissen, dass Leroy meinen synästhetischen Wahrheitstest bestanden hatte, erschien das, was ich getan hatte, schlichtweg hirnrissig.
    Carl griff zum Telefon, um seine Leute zu mobilisieren. Sie würden sofort anfangen, die Insel zu durchkämmen. Sie würden in allen Motels und Gästehäuser anrufen, um Leroy zu finden. Ich sagte ihm, dass ich mir zu neunundneunzig Prozent sicher war, dass Leroy tot sein musste, denn was konnte er schon über diese für die Insel so typischen Unterströmungen wissen? Er entgegnete, dass er so lange nach ihm suchen lassen würde, bis seine Leiche auftauchte. Etwas in seinen Augen verriet mir, dass er zwar an die Möglichkeit glaubte, Leroy lebend zu finden, aber nicht Lily. Ich war mir ziemlich
sicher, dass er sich in Bezug auf Leroy irrte. Ich hoffte bei Gott, dass er sich bei Lily irrte.
    »Nur eine Sache noch, Carl«, begann ich zögerlich. »Und wenn er sie nicht hat? Er hat gesagt: ›Wer zur Hölle ist Lily?‹ Und wenn sie doch irgendwo anders ist? Sie war durcheinander. Vielleicht ist sie weggelaufen.«
    »Es ist eine Möglichkeit«, erwiderte Carl ruhig und mit derselben Überzeugung, als hätte ich vorgeschlagen, sie könne zum Festland geschwommen sein.
     
    Ich fuhr nach Hause, und da ich nicht wusste, was ich sonst tun sollte, rief ich Mandy an. Ihr Handy war ausgeschaltet, was mitten in der Nacht keine Überraschung war. Ich hinterließ nur die kurze Nachricht, dass es um einen Notfall ginge und sie mich zurückrufen solle.
    Um vier Uhr morgens rief sie zurück. Ich hatte auf dem Sofa gedöst und informierte sie jetzt knapp, dass Leroy auf der Insel und Lily verschwunden war. Ich war zu müde, um den Rest zu erläutern.
    »Scheiße«, sagte sie. »Scheiße, Scheiße, Scheiße. Ich wusste, dass ich nicht hätte wegfahren sollen. Lieber Gott.«
    »Ich hab die

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