Wenn Du Luegst
und die Falten in ihrem Gesicht zeigten es. Aber dieses Biertrinken am Morgen war neu. Betsy hatte nie viel getrunken.
Ich war mir sicher, dass die Dinge mit Jimmy nicht gut liefen. Er war nie sehr gesprächig gewesen. Jetzt, da die Kinder fort waren, schien es ihr mehr zuzusetzen. Irgendetwas setzte ihr jedenfalls zu. Vielleicht einfach nur, keine Kinder mehr im Haus und zu wenig zu tun zu haben.
Ich überlegte, ob ich es ansprechen sollte. Ich überlegte derzeit jedes Mal, wenn ich sie sah, ob ich es ansprechen sollte, beschloss jedoch - dieses Mal wie jedes Mal -, dass heute nicht der richtige Zeitpunkt war. Irgendwo hinter Betsys Augen lauerte ein kleiner, harter Ball der Feindseligkeit. Bislang hatte dieser Blick sich noch nicht auf mich gerichtet, und ich wollte es dabei belassen.
»Jena Jensen«, sagte ich und legte meine Füße auf einen Stuhl.
»Jena Jensen?« Betsy öffnete die Dose vor sich und trank einen Schluck. »Den Namen hab ich schon seit einer Ewigkeit nicht mehr gehört. Ich habe nie verstanden, was du in dem Mädchen gesehen hast. Ziemlich graue Maus.«
»Oh, das denke ich nicht.«
»Ach, komm schon. Hat immer rechtzeitig ihre Hausaufgaben abgegeben. Ihre Strickjacke immer bis zum
Hals zugeknöpft. Unter der Woche jeden Abend in der Drogerie ausgeholfen. War auf keiner Party, von der ich wüsste, und ich hab oft genug einen draufgemacht, um es wissen zu müssen. Hat nie einen Freund gehabt. Was meinst du damit, das denkst du nicht?«
»Erinnerst du dich noch, als diese Hexe - wie war ihr Name? - Beecher gesagt hat, dass jeder Schüler, der irgend so einen bescheuerten Test vermasselt, nicht mit zur Klassenfahrt darf?«
»Klar«, sagte sie, und wir mussten beide darüber lächeln, wie das Ganze ausgegangen war. Wir wussten beide - die gesamte Klasse hatte es gewusst -, dass die Zielscheibe ein paar Schüler mit Entwicklungsdefiziten waren, die die Lehrerin nicht mitnehmen wollte. Bestimmt hatte sie befürchtet, dass sie sie in Washington blamieren oder schlicht zu anstrengend sein würden.
»Weißt du noch, wie alle bestanden hatten, als sie die Tests zurückgab? Die Kids haben gejubelt. Und sie hat geschrien, dass sie diese Noten nicht vergeben hätte.«
»Klar weiß ich das noch«, sagte Betsy.
»Ich bin mir ziemlich sicher, dass Jena dahintersteckte.«
»Unmöglich.«
»Ich denke schon. Zum einen, wer wäre sonst noch clever genug gewesen? Die Tests sämtlicher Schüler, die hätten durchfallen können, waren neu geschrieben worden und hatten die Noten verdient, die sie bekamen. Und die echten Arbeiten sind nie aufgetaucht. Abgesehen davon wurden sämtliche Handschriften gefälscht. Ziemlich gut gefälscht, übrigens. Keiner der üblichen Verdächtigen hätte so eine Nummer abziehen können
oder es auch nur versucht. Und außerdem hat Jena nicht ein einziges Mal von ihrem Buch aufgesehen.«
Betsy zog die Brauen hoch.
»Jeder, der nicht mit so was gerechnet hat, hätte hochgesehen. Jena hat einfach weitergelesen.«
»Verborgene Tiefen«, sagte sie. »Kein Wunder, dass sie nie draufgekommen sind. Niemand hätte sie verdächtigt. Ich zieh den Hut vor dir, Mädchen.« Sie hob ihr Bier, um der Neuntklässlerin Jena zuzuprosten. »Aber warum fragst du überhaupt nach ihr? Wo ist sie jetzt?«
»Ich weiß es nicht. Aber ich mache mir Sorgen um sie. Ich fahre weg, um sie zu finden.« Ich erzählte ihr von dem Anruf und was geschehen war, als ich zurückgerufen hatte. »Ich habe gehofft, du wüsstest etwas von ihr.«
»Ein Mal ist sie zurückgekommen, vor etlichen Jahren«, meinte Betsy nachdenklich. »Bevor du wieder hierher gezogen bist. Sie hat nicht im Haus ihres Vaters gewohnt, das hat mich damals sehr gewundert. Sie hatte einen Rucksack dabei und wollte zelten. Ich hab sie gefragt, ob sie hier übernachten möchte, aber sie hat gesagt, dass sie gern zeltet. Hat behauptet, schon in ganz Südamerika mit dem Zelt unterwegs gewesen zu sein. Glaubst du, das stimmt?«
»Ganz sicher. Das passt zu ihr. Hast du später noch mal was von ihr gehört?«
»Ich persönlich nicht, aber ich werde rumfragen. Ein guter Grund, um in die Kirche zu gehen. Tatsächlich der einzige Grund. So bleibt man immer auf dem Laufenden.« Sie schnipste die Asche ab und zog lange an ihrem
Krebsstängel. Ich hasste den Gestank und den Qualm. Aber dies war Betsys Haus, und ich wollte es mir nicht mit ihr zu verderben.
»Ich bezweifle, dass irgendwer etwas weiß«, fuhr sie fort. »Ich glaube nicht, dass sie
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