Wenn du mich brauchst
wortlos das Zimmer verlassen.
Kendra sprach so gut wie nie mit ihrer Mutter. »Dass sie und ich verwandt sein sollen, muss einfach ein Missverständnis sein«, sagte sie oft. »Es ist unmöglich, dass ich es neun Monate in ihr ausgehalten haben soll!«
»Da ist Kendra«, sagte Moon und im selben Moment hielt der Honda schon neben uns an. Wir fuhren zu Burger King, aßen für unser spärliches und Kendras ausreichendes Geld eine Menge Fast Food und ich versuchte, eine Weile nicht an Rosie und Leek und mein Zuhause zu denken.
Am Abend hatten sich die Wogen geglättet. Leek war gekommen und hatte Rosies Therapieabo um ein halbes Jahr verlängert. Außerdem brachte er für alle Burritos vom Mexikaner mit und fünf Papiertüten voll Lebensmittel von Safeway für unseren Kühlschrank.
»Sky?«, sagte meine Mutter beim Essen auf der Terrasse. Kendra war auch da, sie wollte bei uns übernachten.
»Was?«, fragte ich misstrauisch.
»Dieser Gershon …« Sie lächelte mir zu. »Ist er nett? Du hast bisher noch nie von ihm erzählt. Bring ihn doch mal mit.«
Leek war anscheinend schon eingeweiht. Kauend sagte er: »Mein kleines Mädchen geht zum Abschlussball! Es ist unglaublich.«
Ich schwieg.
»Ach ja, wann kaufst du ein Abschlussballkleid? Ich habe dir zweihundert Dollar auf deinen Schreibtisch gelegt, Prinzessin.«
Das Therapieabo bei Bob Bellamy, Burritos vom teuren Mexikaner, massenweise Lebensmittel, Geld für mein Ballkleid. Ich schaute Leek fragend an.
»Ich habe Norma und Die wütende Frau verkauft«, erklärte mein Vater und ich fand, seine Stimme klang eine Spur selbstgefällig dabei.
»Ja, und die wütende Frau bin ich!«, sagte Rosie und lächelte Leek zu. »Oder? Das war im April, als wir uns so schrecklich gestritten haben. In deinem Apartment in Venice. Du hast ein paar Bücher und deinen Aschenbecher nach mir geschmissen.«
Leek nickte.
»Und Norma war diese schwarzhaarige Studentin von der Columbia University, die du im Frühling gebumst hast, erinnere ich mich richtig, Dad ? «, sagte Moon tonlos, stand auf und ging ins Haus und von dort in sein Zimmer. Im nächsten Moment tönte bereits laute Musik aus seinem Zimmerfenster.
»Puh«, murmelte Leek nervös.
»Er meint es nicht so. – Er … er ist in einem schwierigen Alter«, sagte Rosie.
Kendra und ich warfen uns über unsere Teller hinweg einen langen Blick zu.
»Sie ist so was von bescheuert!«, sagte ich hinterher in meinem Zimmer. »Wie kann sie sich meinem Vater nur so idiotisch unterwerfen? Das ist doch krankhaft. Sie kriecht ja förmlich unter seinen Stiefelabsatz. Und bedankt sich noch dafür, dass er mit jeder blöden Studententussi herumvögelt, die in Venice herumläuft.«
Kendra zuckte mit den Achseln. »Ich glaube, mein Dad betrügt meine Mutter auch. Mit seiner Sekretärin. Und ich kann es ihm nicht mal verdenken. Bei uns wird nur nicht drüber geredet. Das ist der Unterschied.«
Später, als wir noch mal nach unten gingen, um Godot zum Pinkeln in den Garten zu lassen, liebten sich Rosie und Leek auf einer Decke unter Moons Baum.
»Sie sind wie die Karnickel«, sagte ich wütend zu Kendra.
Aber Kendra schüttelte den Kopf. »Sie sind einfach speziell. Freaks eben. Und sie sehen beide so gut aus, Sky. Sie sind noch so cool jung. Ich wünschte, ich hätte so tolle Eltern wie du.«
Godot verschwand im Gestrüpp.
»Ich ertrag’s einfach nicht«, murmelte ich.
»Geh schon nach oben – ich warte auf Godot«, flüsterte Kendra und lachte leise über ihren eigenen Scherz.
»Danke«, sagte ich matt und floh in mein Zimmer hinauf.
Manchmal war alles unerträglich. Na ja, fast alles. Wenigstens hatte ich jetzt endlich Geld für ein Kleid. Ich würde gleich morgen mit Kendra zu Crazy Butterfly, unserem Lieblingsklamottenladen, fahren.
Ich dachte an Gershon und erst da fiel mir ein, dass ich weder wusste, wo er wohnte, noch seine Handynummer kannte.
Der Schmetterling war nicht fort. Er war da. Er war geblieben. Er bewegte sich wieder. Und er wuchs im Gottvertrauen auf diese Welt. Esther hätte weinen mögen, wenn sie noch geweint hätte.
Jakobs Kind.
Und als es schließlich geboren wurde, war es so unbeschreiblich klein. Unbeschreiblich klein und unbeschreiblich schön. Das schönste Kind der Welt.
6. HANNAH
Zwischen David und Jonathan, meinem großen und meinem kleinen Bruder, liegen zehn Jahre und ein Tag.
»Heute wird Dave neunzehn und morgen wird Joni neun«, sagte ich zu Sharoni, als wir nach der Schule zu Gan Eden
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