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Wenn ein Reisender in einer Winternacht

Wenn ein Reisender in einer Winternacht

Titel: Wenn ein Reisender in einer Winternacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Italo Calvino
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weil ich glaube, daß ihre Existenz schädlich oder unnütz ist für die Harmonie des Ganzen.
    Um diese Tageszeit strömen Scharen von Angestellten aus ihren überheizten Büros, knöpfen sich ihre Mäntel mit den synthetischen Pelzkragen zu und drängen sich in die Busse. Ich blinzle, und sie sind verschwunden; nur noch vereinzelte Fußgänger sind in der Ferne zu sehen auf den leeren Straßen, die ich vorsorglich von allen PKWs und LKWs und Bussen gesäubert habe. Schön sieht das aus, so ein leergefegter Straßenbelag, glatt und gerade wie eine Bowlingbahn.
    Als nächstes lösche ich die Kasernen, Wachmannschaften, Kommissariate: Alle Uniformierten verschwinden, als wären sie nie gewesen. Vielleicht ist mir dabei sozusagen ein bißchen die Hand ausgerutscht: Ich merke, daß die Feuerwehrleute das gleiche Schicksal erleiden, die Briefträger, die Männer von der städtischen Müllabfuhr und andere Kategorien, die verdientermaßen eine bessere Behandlung erwarten konnten. Aber was geschehen ist, ist geschehen, man kann schließlich nicht auf jede Kleinigkeit achten. Um keine Mißhelligkeiten entstehen zu lassen, schaffe ich kurzerhand die Brände ab, den Müll und desgleichen die Post, die einem ja letzten Endes doch immer nur Unangenehmes bringt.
    Ich kontrolliere, ob keine Kliniken, Krankenhäuser, Heil- und Pflegeanstalten stehengeblieben sind: Ärzte, Pflegepersonal und Patienten abzuschaffen, scheint mir die einzig mögliche Gesundheitspflege zu sein. Dann kommen die Gerichte dran mit allen Richtern, Anwälten, Angeklagten und Klägern, die ganze Rechtspflege, auch die Gefängnisse mit den Gefangenen und ihren Wärtern. Dann lösche ich die Universität mit dem ganzen akademischen Lehrkörper, die Akademie der Wissenschaften und Künste, die Museen, die Bibliotheken, die Denkmäler mit den entsprechenden Denkmalspflegern und Kuratoren, die Theater, die Kinos, das Fernsehen und die Zeitungen. Wenn sie meinen, sie könnten mich bremsen mit dem Respekt vor der Kultur, haben sie sich geschnitten.
    Dann mache ich mich an die ökonomische Basis, die wirtschaftlichen Strukturen, die uns schon viel zu lange bedrängen mit ihrem maßlosen Anspruch, unser Leben zu bestimmen. Für was halten sie sich? Stück für Stück lösche ich die Läden, Geschäfte, Supermärkte und Kaufhäuser, beginnend mit denen für den unmittelbaren Lebensbedarf, um schließlich bei denen für Luxusartikel und Überflußkonsum zu enden: Zuerst leere ich die Auslagen, dann lasse ich die Verkaufstische und Regale verschwinden, dann die Verkäuferinnen, Kassiererinnen, Filialleiter. Die Menge der Kunden streckt einen Moment lang verdutzt die Hände ins Leere, sieht ihre Drahtkorbwagen sich verflüchtigen, dann wird auch sie vom Nichts verschluckt. Vom Konsum gehe ich auf die Produktion zurück: Ich liquidiere die Leicht- und Schwerindustrie, die Rohstoffe und Energiequellen. Und die Landwirtschaft? Weg damit, ist sowieso vergiftet! Und damit es nicht heißt, ich hätte einen regressiven Hang zu den primitiven Gesellschaften, tilge ich auch die Jagd und den Fischfang.
    Die Natur. ..? Haha, ihr glaubt wohl, ich hätte noch nicht begriffen, daß dieser ganze Naturfimmel auch bloß ein raffinierter Schwindel ist? Soll sie doch sterben, die Natur! Es genügt, daß eine halbwegs solide Erdkruste unter den Füßen verbleibt und ringsum die Leere.
    Ich flaniere weiter über den Großen Prospekt, der sich jetzt nicht mehr von der grenzenlosen, verödeten und vereisten Ebene unterscheidet. Es gibt keine Mauern mehr, so weit das Auge reicht, auch keine Berge oder Hügel, weder Flüsse noch Seen noch Meere, nur eine glatte graue Eisfläche, fest wie Basalt. Auf die Dinge zu verzichten, ist gar nicht so schwierig, wie man meint: alles nur eine Frage des richtigen Anfangs. Wenn es dir erstmal gelungen ist, dich von etwas zu lösen, was du für lebensnotwendig hieltest, merkst du, daß du dich auch von etwas anderem lösen kannst und dann von etwas drittem und schließlich von immer mehr. So laufe ich nun über diese leere Fläche, zu der die Welt geworden ist. Windstöße fegen über den Boden, treiben mit feinem Schneegestöber letzte Überreste der verschwundenen Welt vor sich her: eine reife Weintraube, frisch wie eben erst von der Rebe gepflückt, einen wollenen Babyschuh, ein gut geschmiertes Kardangelenk, eine Seite, die aussieht wie aus einem Roman in spanischer Sprache, mit einem Frauennamen: Amaranta. War es vor wenigen Sekunden oder vor vielen

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