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Wenn ein Reisender in einer Winternacht

Wenn ein Reisender in einer Winternacht

Titel: Wenn ein Reisender in einer Winternacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Italo Calvino
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vermocht. Was blieb da unserem Illusionisten noch übrig? Er stiftete weiter Verwirrung zwischen den Titeln, Autorennamen, Pseudonymen, Sprachen, Übersetzungen, Editionen, Umschlägen, Frontseiten, Kapiteln, Anfängen und Enden, damit sie gezwungen war, diese Zeichen seiner Präsenz zu erkennen, diesen seinen letzten Gruß ohne Hoffnung auf Antwort. >Ich habe meine Grenzen erkannt«, sagte er mir. >Beim Lesen geschieht etwas, worüber ich keine Macht habe.« Ich hätte ihm sagen können, daß ebendies die Grenze ist, die nicht einmal die allgegenwärtigste Polizei zu durchbrechen vermag. Wir können am Lesen hindern, gewiß. Aber noch im Dekret, das alle Lektüre verbietet, wird man ein Stück jener Wahrheit lesen, von der wir möchten, daß sie niemals gelesen werde. «
    »Und was ist aus ihm geworden?« fragst du mit einer Besorgtheit, die vielleicht nicht mehr von Rivalität geprägt ist, sondern von Mitgefühl und Verständnis.
    »Er war fertig, erledigt. Wir konnten mit ihm tun, was wir wollten: ihn zur Zwangsarbeit schicken oder ihm einen Routineposten in unseren Sondereinheiten geben. Aber. «
    »Aber. ?«
    »Ich ließ ihn entkommen. Eine fingierte Flucht, ein fingierter illegaler Grenzübertritt, und er verwischte erneut seine Spuren. Hin und wieder, scheint mir, erkenne ich seine Hand in den Materialien, die mir vor Augen kommen. Er ist besser geworden. Er betreibt jetzt die Mystifizierung um der Mystifizierung willen. Wir haben keine Gewalt mehr über ihn. Zum Glück!«
    »Zum Glück?«
    »Es muß ja noch etwas übrigbleiben, was uns entgeht. Damit die Macht einen Gegenstand hat, an dem sie sich messen kann, einen Raum, ihre Arme hineinzustrecken. Solange ich weiß, daß es irgendwo auf der Welt noch jemanden gibt, der Geschicklichkeitsspiele allein aus Liebe zum Spiel betreibt, solange ich weiß, daß es irgendwo eine Frau gibt, die das Lesen um seiner selbst willen liebt, kann ich sicher sein, daß die Welt weiterbesteht. Auch ich vertiefe mich Abend für Abend in die Lektüre, versinke in ihr, wie jene ferne unbekannte Leserin. «
    Rasch verscheuchst du aus deinem Sinn die ungebührliche Überlagerung der Bilder Ludmillas und des Generaldirektors, um die Apotheose der Leserin zu genießen, die strahlende Vision, die aus den ernüchterten Worten Arkadian Porphyritschs aufsteigt, und zugleich die Gewißheit, bestätigt von diesem allwissenden Oberzensor, daß zwischen ihr und dir nun keine Hindernisse oder Geheimnisse mehr bestehen, während von dem Cagliostro, deinem Rivalen, nur noch ein pathetischer Schatten bleibt, der immer mehr in die Ferne rückt. ..
    Aber deine Genugtuung kann nicht vollkommen sein, solange der Zauber mit den abbrechenden Lektüren nicht gebannt ist. Auch über diesen Punkt suchst du mit Arkadian Porphyritsch ins Gespräch zu kommen. »Als Beitrag für Ihre Sammlung«, sagst du, »hätten wir Ihnen gern eins der in Ataguitanien meistbegehrten verbotenen Bücher überreicht, den Roman Rings um eine leere Grube von Calixto Bandera, aber leider hat unsere Polizei in einem Anfall von Übereifer die ganze Auflage einstampfen lassen. Soweit wir gehört haben, gibt es jedoch eine irkanische Übersetzung, die hier bei Ihnen in einer hektographierten Untergrundausgabe zirkuliert. Wissen Sie etwas darüber?«
    Arkadian Porphyritsch erhebt sich, um in einer Kartei nachzusehen. »Von Calixto Bandera, sagten Sie? Ja, hier: Im Augenblick ist das Buch leider nicht verfügbar. Aber wenn Sie sich noch ein wenig gedulden, eine Woche vielleicht, höchstens zwei, habe ich eine ganz exquisite Überraschung für Sie. Einer unserer bedeutendsten verbotenen Autoren, Anatoly Anatolin, arbeitet unseren Informanten zufolge seit geraumer Zeit an einer Übertragung des Romans von Bandera in irkanisches Milieu. Aus anderen Quellen wissen wir, daß Anatolin gerade dabei ist, einen Roman mit dem Titel Welche Geschichte erwartet dort unten ihr Ende? fertigzustellen, dessen Beschlagnahme durch eine polizeiliche Überraschungsaktion wir bereits vorgeplant haben, damit er nicht in das clandestine Distributionsnetz gelangt. Sobald wir uns seiner bemächtigt haben, werde ich Ihnen eine Kopie davon zukommen lassen. Sie werden sehen: Es ist genau das Buch, das Sie suchen.«
    Im Nu faßt du deinen Plan. Mit Anatoly Anatolin kannst du dich direkt in Verbindung setzen; du mußt den Agenten Arkadian Porphyritschs zuvorkommen, in den Besitz des Manuskriptes gelangen, ehe sie zuschlagen, es vor der Beschlagnahme retten, es in

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