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Wenn er mich findet, bin ich tot

Wenn er mich findet, bin ich tot

Titel: Wenn er mich findet, bin ich tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Rapp
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besseren Halt und unser Bezug zu Realität festigt sich.
    Paolo telefoniert: »Rissmann, Klempner, Moin … Ham Sie Akten im Keller? … Ja, ein Wasserproblemchen. Ist das Büro besetzt, falls wir abstellen? … Gut. Tschüs.«
    »Will ’ne Pause! Lass uns ans Meer gehen!«, mault Kolja.
    »In der EPM-Geschäftsstelle ist kein Schwein und kommt heute auch keins mehr. Die Akten sind im Büro.«
    Wir klingeln bei den Anwälten im 1. Stock. »Post.«
    SUMM. Tür auf. Mit dem Aufzug in den 3. Stock.
    E P M
    E RLEBNIS P ÄDAGOGISCHE M ASSNAHMEN
    GESCHÄFTSSTELLE
    steht an der Tür, an der sich Kolja zu schaffen macht. Er deutet eine Verbeugung an und lässt uns den Vortritt. Wir marschieren rein. Manchmal ist das Leben genial einfach.
    Wir finden alles und dreimal so viel: vollständige Akten der Jugendämter, Heimberichte, Polizeiakten, Gutachten der jugendpsychiatrischen Abteilungen. Da Beck offiziell die Vormundschaft hat, sind es Originale. Becks Berichte aus dem Camp sind auch dabei.
    Noch zieht mein Rucksack mich nicht zu Boden, aber er ist jetzt deutlich schwerer. »Was jetzt?«, frage ich.
    »Ab ins liebliche und spirituelle Taubertal«, schlägt unser Reiseleiter, Dr. Motta, vor.
    »Zuerst bringen wir die Ablage durcheinander«, sagt Kolja. »Wenn jemand nach unsren Akten sucht, soll er den Eindruck gewinnen, sie könnten bei dem Chaos überall sein. Dann können wir von mir aus lospilgern und büßen.«
    Bis Würzburg nehmen wir den Zug, bis Rothenburg ob der Tauber die Bummelbahn. Da versorgen wir uns mit den nötigsten Sachen. Dann trampen wir nach Oberspeltach, unserem dritten Tages-Etappenziel.
    »Chef, ich brauch ’ne orthopädische Gehhilfe. … Nein, ich übertreib nicht. …« Kolja und der Chef plaudern über die Beschwerlichkeiten des Pilgerlebens.
    Ich: »Hi, Chef? Wie sieht der Garten aus? Ich hoffe, du lässt nichts vergammeln.« Er klingt konsterniert und redet sich raus. »Wandern macht naturverbunden, kannst du morgen mal gießen?« Ich halte Paolo das Handy hin. »Er will nicht mehr mit mir sprechen.«
    Paolo: »Wir sind auf dem Weg zum Waldgrillplatz.  … Ja, Feuerchen machen. … Ich weiß nicht, ob Pilgern eine lebenslange Passion von mir werden wird. Die Füße tun weh, aber der Kopf wird schön leer. …«
    Die Grillstelle liegt am Waldrand. Das Abendlicht taucht den Platz in eine seltsame Stimmung. Ohne Feuer lodert der rostige Rauchabzug im Licht. Wie eine Milchhaut überzieht Nebel die Wiese. Würde mich nicht wundern, wenn ein weißer Hirsch aus dem Wald herausgetreten käme. Ich lasse meine Akten aus dem Rucksack in die ummauerte Feuerstelle mit Rost rutschen, lockere das Ganze etwas auf und fackle die Seiten am Rand ab.
    Das Feuer frisst sich vor und leckt und schleckt an den übereinandergerutschten Seiten. Feuer verzehrt, da ist was dran. Mein Feuer ist magisch, es verzehrt den Dreck und das Gift, das andere über mein Leben ausgeschüttet haben. Ich werde leicht und laufe einmal um die Wiese. »Juhu!« Zwei Sprünge, ein Überschlag. Ich lass mich ins kühle Gras fallen.
    »Komm her, Obergestörte!«
    Kolja liest aus Becks Finnland-Bericht vor. Mein gutes Gefühl platzt wie eine Seifenblase. Ich bin unangenehmberührt, als würde ich mit einem Verräter, IM Chef , unter einem Dach leben. Den Jungs geht es nicht anders.
    »Übel, er schreibt, wie er unser Vertrauen gewonnen hat, grad so, als hätte er uns und nicht wir ihn ausgesucht.« Kolja schüttelt sich. »Eitler Sack, der Chef.«
    Meine Kehle ist wie zugeschnürt. Ich starre in die Aktenglut. Noch immer sind Stempel und Worte auf den glimmenden schwarzen Papierresten zu erkennen. Nur umgekehrt, helles Grau, fast weiß, auf Asche. Ich lese GUTACH … GLUT ASCH . Achte gut, Glut! Gut achtgeben, Asche.
    Paolo weckt das fast erloschene Feuer mit seinen Papieren auf. Schön und leuchtend sieht er aus im Feuerschein.
    Eine Träne, rot glänzend, läuft Kolja über das Gesicht. Er hält einen aufgeschlagenen Ordner in der Hand.
    »Lies nicht«, bitte ich ihn. »Alles Lügen, lass sie brennen.«
    »Lass ihn lesen, wenn er will!«, fährt Paolo dazwischen. »Es kann nicht jeder den Kopf so perfekt in den Sand stecken wie du.«
    »Was mach ich?« Unter ›Kopf in den Sand stecken‹ stelle ich mir was komplett anderes vor. »Für mich ist das ein Neuanfang! Ich sag nicht, dass es das ganze Elend nicht gegeben hat, aber ich werde es nicht länger mit mir herumschleppen oder anderen zur Lektüre überlassen!«
    »Stört den

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