Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wenn er mich findet, bin ich tot

Wenn er mich findet, bin ich tot

Titel: Wenn er mich findet, bin ich tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Rapp
Vom Netzwerk:
hast du noch nie gekonnt, du kranke Sau.«
    EIN SCHWARZES LOCH.
    Über mir ragt der Graufelsen auf. Ich starre in die Wolken. Zwei Vögel kreisen über mir. Ich schreie. Mein Schrei, der Klagelaut aus meiner Kehle, klingt unmenschlich, doch die Vögel kreisen unbeirrt. Es sind keine Geier und ich schrei weiter, bis meine Stimme wieder nach mir klingt. Dann gebe ich mir einen Ruck und teste meine Körperfunktionen, denn ich fühle mich auf schmerzhafte Art und Weise unversehrt. Ich kann sehen, Finger und Fußzehen bewegen, trotz übler Schmerzen im Ellbogen und in der Schulter ist es mir möglich, die Hände anzuheben. Sie sind weiß, mit Kletterkreide eingerieben. Alles klar, Goedel, du kranker Psychopath, wer mich findet, soll wohl denken, ich sei beim Klettern abgestürzt. Ich drehe mich vorsichtig zur Seite. Ein paar Meter weiter rauscht der Talbach. Der war, als ich aus dem Lieferwagen geworfen wurde, noch nicht da. Es dauert, aber ich schaffe es, auf die wackeligen Beine zu kommen, und zieh die Hose runter: kein Blut in meiner Unterhose. Ich taste, fühle. Er hat mich nicht verletzt. Ich wanke direkt in den Bach und leg mich rein, den Kopf unter Wasser. Eiskalt. Der Atem stockt, ich schnapp nach Luft und wate zurück.
    Kein Selbstmitleid! Selbstmitleid ist verboten. Selbstmitleid kostet Kraft, und die brauch ich jetzt, sag ich mir und eiere los. Am Talbrunnen steht: Kein Trinkwasser . Egal.
    Nach einer Stunde trocknen meine Kleider endlich.
    »Wo kommst du her?«, fragt der Chef verärgert. »Erst verschwindest du und dann Kolja. Und niemand hält es für nötig, mir Bescheid zu sagen!«
    Ich will nicht, dass er mich sieht, und geh die Treppen einfach weiter hoch. »Ich hab bei Maria den Hühnerstall ausgemistet. Muss duschen. Wo ist Paolo?«
    »Hinten, im Garten.«
    Es verunsichert mich total, wenn der Chef so launisch ist. Als ich die Turnschuhe in den Schrank stelle, fällt mir das leicht gekippte Brett auf dem Alma-Marter-Material auf. Eine Ecke der blauen Mappe lugt heraus, weil das unbelastete Brett nicht richtig aufliegt. Das kann nicht so bleiben. Außerdem hab ich nicht abgeschlossen. War jemand in meinem Zimmer? Ich überprüfe, ob alles noch so ist, wie ich es zurückgelassen habe. Ist es nicht!
    Mein Rucksack ist weg!
    Ich reiß das Fenster auf. »Paolo!«
    Er sitzt am Gartentisch und lernt.
    »Wo ist mein Rucksack?« Mein Herz hämmert wie wild.
    »Der steht hier!«
    Heißes Wasser prasselt auf meinen steinharten Nacken. Nachlässigkeit kann ich mir nicht leisten. Der Boden unter mir ist brüchig, das darf ich nicht vergessen. Habe ich etwas übersehen, als ich den Rucksack ausgeräumt habe, Tickets oder andere verräterische Zeichen unsrer Reise? Hat der Chef was gefunden, was ihn uns gegenüber hat misstrauisch werden lassen? Wenn er uns auf die Spur kommt, ist das für uns alle lebensgefährlich!
    »Wie kommt mein Rucksack hierher?«, frag ich Paolo.
    »Ich hab ihn mitgenommen.« Er sieht nicht mal zu mir hoch.
    Ich, scharf: »Was?«
    Jetzt sieht er mich an, schweigend und abwartend.
    »Ich will nicht, dass du in mein Zimmer gehst und Sachen rausholst, wenn ich nicht da bin.« Wasser tropft aus meinen Haaren.
    »Du willst also, dass ich in dein Zimmer gehe, wenn du da bist?« Pause. »Du hast ihn in der Küche liegen lassen, Obergestörte. Komm mal runter.« Er mustert mich.
    Mein Abstieg beginnt sofort. »Seit wann sitzt du hier?«
    »Erst dreht Kolja durch, dann du«, stöhnt Paolo. »Unser Schlossknacker kennt normalerweise keine Nervosität, es sei denn, seine weiblichen Fans zeigen nicht die gewünschte Anhänglichkeit. Und die sind in der Tat sauer, weil wir dauernd zusammenglucken. Du bist zu Maria, und ich bin zehn Minuten später in den Garten, weil Kolja eine Turteloffensive am Handy gestartet hat, um seinen Taubenschlag wieder vollzukriegen. Sonst noch was?«
    »Hast du mitgekriegt, dass einer von der Straße aus das Haus fotografiert hat?«
    Paolo wird ernst, schüttelt den Kopf.
    »Maria hat ihn gesehen. Schwarzes Auto, Frankfurter Kennzeichen.«
    »Wahnsinn, ich fass es nicht. Es geht wieder von vorne los«, sagt er leise und nimmt meine Hand.
    Nein, nichts geht von vorne los. Ich bin nicht mehr allein. Der Unterschied ist so riesig, dass für mich alles völlig anders ist als jemals zuvor. »Alles ist anders geworden durch dich und Kolja und mit dir und Kolja«, sag ich leise. Nichts werde ich tun, was ihnen gefährlich werden könnte, und ich werde Paolo nichts von Goedel sagen.

Weitere Kostenlose Bücher