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Wenn er mich findet, bin ich tot

Wenn er mich findet, bin ich tot

Titel: Wenn er mich findet, bin ich tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Rapp
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Abendfrieden nicht.« Kolja zieht die Nase hoch und wirft das Aktenpaket ins Feuer. Es erstickt beinah. Mit einem Ast stochert er in der Glut, bis ein Funken- und Ascheregen auf uns niedergeht.
    Ein Löchlein frisst sich in Paolos Windbreaker von Titus.
    »Ich stopf’s«, biete ich als Abendfriedensbeitrag an.
    »Kriegst ’ne neue.« Kolja weiß, wie gern Paolo shoppen geht.
    Unser Mann aus Sizilien versprüht noch eine Weile sein südländisches Temperament. »Vaffanculo …«
    Wir lassen ihn toben und sammeln Holz.
    »Habt ihr an Würstchen gedacht?«, fragt Paolo, als die Aktenverbrennung in ein richtiges Lagerfeuer übergeht.
    Kolja zieht drei Eier aus seinem Rucksack. »Ich dachte, ich pack mir ’n Ei drauf.«
    Er wirft mir eins zu. »Wie soll das gehen?«
    »So«, Kolja feuert sein Ei auf den Rost.
    ZISCH. SPRITZ.
    »Eisprung, yeah!« Auch mein Ei zerplatzt.
    »Hier, meins kannst du auch haben«, sagt Paolo.
    »Schmeiß es selber hin. Das tut gut.«
    Auch bei ihm wirkt es. Und natürlich hat er an Würstchen und an Senf gedacht.
    »Super! Klasse! Vielen Dank!« Kolja und ich übertreiben ein bisschen, damit Paolo sich nicht zu breit in seinem Überlegenheitsgefühl einrichtet. Dann braten wir Würstchen und stochern in der Glut, bis der letzte Aktendeckel zu unidentifizierbarem Staub zerfallen ist.
    »Kuck weg.« Paolo und Kolja pissen darauf. Es zischt.
    Kein Grund, Penisneid zu entwickeln, aber ungerecht finde ich es schon.
    Es wird kühl und Wind kommt auf.
    »Was machen wir, wenn’s morgen regnet?«, fragt Kolja. »Mit meinem kranken Fuß pilgere ich nicht bei Regen.«
    »Dann wallfahren wir eben mit dem Bus oder mit dem Taxi.«
    Nichts dergleichen. Am vierten Pilgertag brechen wir ab. Der Chef holt uns von Bad Stockbach ab. Als er Koljas Knöchel sieht, attestiert er uns sogar Realitätssinn. Und unsere Ringe unter den Augen entlocken ihm ein Lächeln. Wir sind außerstande, ihm einen zusammenhängenden Pilgerbericht zu geben, und fallen stattdessen auf den Liegen im Hochsicherheitsgarten in einen komatösen Schlaf. Er schiebt es auf die körperliche Anstrengung, die hinter uns liegt.
    Ich wache schweißgebadet aus einem Albtraum auf.

28
Prüfung II
    »In all den Jahren habe ich alles in meiner Macht Stehende getan, um die Vermissten, vor allem meine Tochter Alma Goedel, zu finden.«
    Paolo zitiert Victor Georg Goedel, der im Gesellschaftsteil des Nordkuriers eine Doppelseite für die Rehabilitation seines angekratzten Ansehens zur Verfügung gestellt bekommen hat. Goedels Recherchen sind dokumentiert, Ausgaben aufgelistet und die Anstrengungen dargestellt, den Verkauf des Herrenhauses rückgängig zu machen. Er hat es auf Alma Goedel rückübertragen lassen.
    »Der hat nicht nur Anwälte, sondern auch ein PR-Büro beauftragt«, sagt Kolja. »Der geht nicht in den Knast.«
    »Das ist doch alles nicht neu«, sag ich. »Er muss trotzdem weg!«
    Liegt es an unseren nervenzerfetzenden und kriminellen Aktivitäten oder an Lauterstetten, dass meine Unruhe wieder in Panik umkippt? Ich spüre deutlich eine bösartige Gegenwart, ein unsichtbares Beobachtetwerden, merke mir wieder Automarken und Gesichter, lerne seit Tagen extrem verbissen. Hab Schiss vor meinem Schatten und knalle mehrmals irgendwo gegen, weil ich nach hinten kucke. Frau Huber wird sich dafür einsetzen, dass ichdie praktische Prüfung in Sport machen kann, und ich traue mich nicht mehr zu laufen.
    In neun Tagen ist die Realschulprüfung, und wir haben noch keinen Plan, wie wir uns dieses Mal die Aufgaben vorab beschaffen. Wie kommen wir rein und raus? Fassadenkletterei ist mit Koljas kaputtem Knöchel ausgeschlossen. Deshalb will er sich einschließen lassen, das Ding im Alleingang durchziehen. Paolo ist strikt dagegen, doch er kann weder Schlösser knacken noch an Fassaden hochklettern.
    Da Maria nicht am Fenster sitzt, laufe ich gleich ums Haus herum in den Garten. Sie hockt an ihrem Gartentisch und schnippelt Bohnen.
    »Da kommt meine Tilly. Grüß Gott.«
    »Grüß Gott, Maria. Wie geht’s dir?«
    »Gut geht’s mir.« Sie gießt mir ein Glas Wasser ein.
    Ich trinke, während Maria erzählt: »Da hot oiner die ganze Oberstraße runter fotografiert. Bei euch zuerscht. Den hab ich gefragt, warum er des macht. Er sei an Immobilien interessiert, hat der gsagt. Aber da sei nix zu verkaufen, sag i zu ihm. Da sagt er, woher i des denn wissen will?« Sie ist fassungslos.
    »Hatte er einen Dialekt oder hat er hochdeutsch gesprochen? Und hast du

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