Wenn Es Dunkel Wird
nicht mehr schaffte, seitdem sein Sohn verschwunden war. Und bisher hatten seine Eltern noch keinen Ersatz gefunden.
Das war deutlich zu sehen: Die Gartentür hing schief in den Angeln, das Garagentor klemmte beim Herunterlassen. Rost hatte sich in den Zargen abgesetzt, wenn man nichts dagegen tun würde, würde er sich bald eingefressen haben.
Das Haus machte einen verwahrlosten Eindruck, die Farbe blätterte von den Holzrahmen der Fenster und Türen, der Putz der Fassade warf von der Feuchtigkeit Blasen, es würde nicht mehr lange dauern und die Scheiben würden blind werden und auf dem Ziegeldach würde Moos wachsen.
Schweigend durchquerten wir den Garten, folgten Tammy und Julian ins Haus. Der Geruch nach Staub und alten Möbeln, nach lange nicht benutzten Wasserabflüssen in Küche und Badezimmern schlug uns entgegen. Man müsste alle Fenster aufreißen und mit einem dieser Zitrusduft-Putzmittel durchwischen, um den unangenehmen, abgestandenen Gestank zu vertreiben.
Die Espressokanne stand auf dem Herd, die wir damals am letzten Morgen benutzt hatten. Selbst die Kaffeespritzer waren noch neben den Feuerstellen zu erkennen. Wenigstens haben wir unsere Tassen abgespült, dachte ich. Sonst hätte ich das Gefühl gehabt, gar nicht weg gewesen zu sein. Warum können wir nicht die Zeit zurückdrehen, fragte ich mich, bis zu dieser Nacht, in der es geschah?
Wir hätten stattdessen ins La Porte gehen und dort Claas’ Geburtstag feiern können und nicht in der Höhle. Und falls doch in der Höhle, dann ohne Absinth und ohne die Karten und ohne all die Kelche und Dolche aus der Truhe.
Dann wäre doch alles anders gekommen, oder? Dann hätten wir Vincents Sohn einen Wodka angeboten oder vielleicht hätten wir ihn auch mit Alkohol abgefüllt und uns einen Spaß daraus gemacht, uns vorzustellen, wie er am Morgen inmitten der Marmeladengläser mit den Katzenembryonen aufwacht. Es wäre immerhin ein harmloser Spaß gewesen. Und er wäre jetzt noch am Leben.
Julian schob die Terrassentür auf. Sofort drang die feuchte, nach Moder riechende Luft herein, als müsse sie uns ständig an unsere Tat erinnern. Wir bewegten uns schweigend, ja, schattenhaft durch das Haus, als wären so unsere Anwesenheit und unser Plan weniger real.
Wie blau und glitzernd mir der Pool im Sommer erschienen war. Ich erinnerte mich, wie Julian und ich in dieser einen Nacht im bronzefarbenen Wasser geschwommen waren.
Jetzt war das Wasser des Pools giftgrün von Algen. Die verblühten Zweige der Oleanderbüsche waren nicht geschnitten, auf den Terracottafliesen lagen Haufen modernder Piniennadeln, aus den Fugen spross das Unkraut. Ich kniete mich auf den Boden und beobachtete, wie eine Kolonne großer schwarzer Ameisen einen toten Käfer quer über die Terrasse transportierte.
Ein Platschen. Ich zuckte zusammen. Von der ersten Stufe des Pools war gerade ein Frosch in die Algenbrühe gesprungen.
Vielleicht ist es ja auch nichts Außergewöhnliches, vielleicht hatte es hier all die Jahre immer so ausgesehen – bevor Vincent und er heraufkamen und alles für den Sommer und die Wagners herrichteten, sagte ich mir. Und doch wurde ich das Gefühl nicht los, dass der heruntergekommene Zustand des Hauses mit uns zu tun hatte. Den einstmals schönen Ort, in dem es Ordnung gab, hatten wir zerstört. Jetzt wuchs alles regellos und es herrschte Tod anstatt Leben.
Wir setzten uns schweigend im Wohnzimmer auf die Couch und warteten auf eine weitere Nachricht. Unser Plan war: Wenn doch die Polizei hinter den Mails steckte – was zwar ziemlich unwahrscheinlich erschien –, würden wir erzählen, dass uns jemand Droh-Mails geschickt hatte und wir ihn uns schnappen und der Polizei ausliefern wollten. Und dass wir nicht die geringste Ahnung hätten, worauf die erpresserischen Nachrichten anspielten.
Natürlich würde die Polizei dann erst recht anfangen, Fragen zu stellen. Wieso kommt jemand dazu, euch solche Mails zu schicken? Was soll der Magier bedeuten? Warum habt ihr euch nicht sofort bei uns gemeldet?
Aber – ganz nüchtern und vernünftig betrachtet – konnte es die Polizei nicht sein. Sie hatten ja keinerlei Beweise, ja, es war ja offenbar noch nicht mal eine Leiche aufgetaucht.
Und die Wagners hätten sicher von Vincent erfahren, wenn man sie gefunden hätte.
Die Zeit schleppte sich dahin.
Claas hatte im Sessel die Beine übereinandergeschlagen und wippte. Tammy polierte ihre Fingernägel und ich wusste nicht, ob ich den Moment herbeisehnen
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