Wenn es plötzlich Liebe ist
hypothetisch war. Ehefrauen wurden in seiner Branche noch stärker abgelehnt als Freundinnen, denn eine Familie stellte die äußerste Bedrohung für eiskalte Gedanken dar. Je mehr man an andere gebunden war, je mehr Stabilität man brauchte, desto größer die Chance, Schwächen zu zeigen.
Er hatte es immer für einen Fehler gehalten, wenn Leute annahmen, sobald sie ein Zuhause, eine Frau und Kinder hatten, würde die Welt irgendwie sicherer sein.Viele Männer glaubten fest, solange sie jeden Morgen ihre Tasse Kaffee
in der Gegenwart desselben Menschen tranken, wären sie irgendwie in Sicherheit. Smith wusste, dass dies nicht zutraf. Wie alle anderen Menschen wurde jeder Ehemann vom Schicksal herausgefordert. Sie wussten nur einfach nicht, dass sie schon am Verhandlungstisch saßen.
Er wusste, dass er im Alleingang sicherer war, denn solange er solo operierte, brauchte er nur für sein eigenes Leben Sorgen zu tragen. Und der Tod war die einzige Naturkraft, vor der er keine Angst hatte.Wenn man tot war, spielte nichts mehr eine Rolle.
Er war immer auf seine klare Einstellung zu den Fallstricken des Familienlebens stolz gewesen, aber jetzt war er nicht mehr so sicher. Seitdem er Grace kannte, hatten sich seine Gedanken darüber verändert. Zum ersten Mal konnte er begreifen, dass Angehörige zu haben reizvoll sein konnte. Um ganz ehrlich zu sein, hörte er es sehr gerne, wenn sie nachts durch die Wohnung ging. Er sah sie gerne morgens im Bademantel mit völlig zerzausten Haaren. Er liebte es, wenn sie auf dem Rücken schlief und dabei leise schnarchte. Er mochte ihre Wärme neben sich im Bett.
Smiths Instinkt regte sich.
Er lauschte. Die Wohnung war völlig still. Eine Sekunde später rannte er über den Gang, sah ins Wohnzimmer, ins Esszimmer, stürzte dann in die Küche. Als er wieder in der Diele stand, begann etwas in seinem Kopf zu schreien.
Grace starrte die Frau an und zwinkerte die Regentropfen fort, die ihr in die Augen fielen. Sie fühlte die harten Pflastersteine unter ihrem Gesäß, die Kälte, das feuchte Sweatshirt, einen stechenden Schmerz im Bein.
Das ist also alles echt, dachte sie.
»Ich habe keine Schwester«, flüsterte sie, obwohl ihr der
Anblick das Gegenteil bestätigte. Die Ähnlichkeit mit ihrem Vater war subtil, aber unverkennbar. Grace fühlte sich verraten.
»Woher weißt du das mit dem Seestern?«, fragte sie scharf.
Die Antwort erfolgte zögernd und leise, als wüsste die Frau nicht genau, wie Grace darauf reagierte.
»Als ich noch klein war, habe ich einmal ein Foto von dir und ihm in der Zeitung gesehen und gefragt, wer du bist. Er sagte, du wärest seine andere Tochter, und ich wollte deinen Namen wissen. Er sagte, dein Name sei Seesternchen. Ich habe dich immer so gekannt, auch als ich deinen richtigen Namen erfuhr.«
Grace spürte Eifersucht wie einen Stich, weil diese andere Person, diese Fremde, den Kosenamen kannte, den nur ihr Vater benutzte.
Wie kann er es wagen, nicht hier zu sein, wo alles herauskommt?, dachte sie unvernünftigerweise.
Grace mühte sich auf die Beine. Die andere Frau bot ihr hilfreich eine Hand an, doch Grace schlug sie aus.
Die Frau wich zurück. »Ich hätte dir zuerst schreiben sollen, aber ich dachte, du würdest mich für eine Irre halten. Vermutlich tust du das ohnehin. Ich musste dich aber einfach kennen lernen. Fotos von dir habe ich schon seit Jahren gesehen, aber das war irgendwie nicht echt. Du bist so schön und strahlend, und ich habe oft gedacht …« Sie lächelte traurig. »Ich wollte das andere Leben von ihm kennen lernen. Das bedeutendere Leben… von meinem Vater.«
Grace starrte die Frau an. Der Regen hatte ihr rotes Haar dunkler gestreift. Nass und glatt lag es an ihrem Kopf. Hinter ihren blauen Augen schienen alte Schatten zu lauern.
»Wie heißt du noch?«, fragte Grace.
»Callie. Eigentlich Calla Lily.«
Grace durchfuhr ein Schauder. Der Name. Der Name, den sie einmal von ihrem Vater gehört hatte, als er schlief und träumte.
Sie schüttelte den Kopf, weil die Realität immer wieder kippte, während sie die Fakten zu verdauen suchte.
Grace sah die Frau wieder an. »Du siehst ihm ähnlich.«
»Ich weiß. Es ist die Haarfarbe, glaube ich.«
»Deine Augen auch.« Grace merkte, dass ihre Stimme wütend klang.
Sie wollte die Frau zum Teufel jagen, sie der Lüge bezichtigen. Zumindest wünschte sie sich, nie joggen gegangen zu sein, dann hätte sie die Frau niemals getroffen.
»Ich weiß, dass es ein Schock sein
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