Wenn Licht die Nacht durchdringt: (Teil 2) (German Edition)
kämpfte – mit allergrößtem Kraftaufwand. Sie wusste nicht, wo sie war, noch wie sie hierhergekommen war, doch das war genaugenommen nebensächlich. Viel wichtiger war es, dem Sog zu entkommen. Dem eisigen Sog, der ihren Arm fest umschlossen hatte. Dem eisigen Sog, der sie in die Dunkelheit zu ziehen versuchte.
Sag mir, wo ihr seid …! Wo habt ihr euch verkrochen? Wo?! Sag es mir! Jetzt! Sag es mir …!!
Sie versuchte die kalte Stimme nicht in ihren Kopf und ihr Herz dringen zu lassen. Weigerte sich körperlich und weigerte sich mit ihrem ganzen Willen gegen das Zerren und Reißen an ihrem Inneren und Äußeren. Versuchte mit aller Macht dem schwarzen kalten Griff entgegenzuwirken. Sie musste sich wehren. Sie durfte nicht nachgeben.
Ein schauriges Lachen, boshaft und bedrohlich, hallte durch die Luft und verpasste ihr eine Ganzkörpergänsehaut.
Sie kam dem Abgrund immer näher. Langsam und schleppend, aber dennoch. Ein abgehaktes Schluchzen drang aus ihrer Kehle und vermischte sich mit ihren Schreien.
Plötzlich spürte sie von rücklings einen festen Griff um ihren anderen Arm. Eine warme Berührung, die einen kleinen Schein von Licht ausströmte, Zentimeter für Zentimeter über ihren Körper zu kriechen versuchte.
Gwen, wach auf …! Wach auf!!
Eine Stimme. Ein Rettungsanker.
Gwen, bitte! Komm zurück! Wach auf!!
Aufwachen …? Sie schlief? Sie musste nur aufwachen, um von hier zu entkommen? Aber wie? Wie brachte man sich dazu aufzuwachen? Wenn man gar nicht das Gefühl hatte, zu schlafen? Wenn einem alles so echt erschien, wie die Realität?
Du gehörst mir! Du kannst mir nicht entkommen! Du wirst leiden! Du wirst sterben! Das verspreche ich dir! Ich finde dich! Ich finde euch!
Sie keuchte, spürte, wie ihre Kraft nachließ.
Gwen! Wach auf! Komm zurück! Komm zurück zu mir! Bitte!!
Sie nahm alle ihre Energie, all ihren Willen zusammen, riss sich nach hinten in Richtung des wärmenden Griffs, in Richtung des Lichtscheins und – öffnete die Augen.
***
Gwen sog heftig nach Luft, als hätte sie es gerade noch rechtzeitig an die Wasseroberfläche geschafft, ehe all ihr Atem versiegt war. Sie fror am ganzen Leib. Überall auf ihrer Haut lag ein Film von kühler Nässe, der sie frösteln ließ.
Zwei Hände griffen unter ihren Rücken, hoben sie nach oben, drückten sie gegen eine starke Brust und wiegten sie.
„Schschsch … es ist alles gut. Du bist jetzt in Sicherheit. Du bist wach. Er kann dir nichts mehr tun. Er kann dich nicht mehr erreichen.“
Ihre Augen flogen wild umher. Sie war in dem Schlafzimmer des Toskana Hauses – und sie lag in den Armen von Nikolaj. Sein Duft, frisch und erdig zugleich, drang in ihre Nase, vertraut und beruhigend. Die Wärme seines Körpers stülpte sich über sie, wie ein Mantel, der ihr Zittern abmilderte. Sie hörte und spürte ihren Herzschlag wild in ihrer Brust pochen – bis ihr bewusst wurde, dass es nicht nur ihr Herz war, das vor sich herstolperte. Ihrer beiden Herzen waren in Aufruhr, waren ruhelos und außer Atem. Aneinandergeschmiegt, Brust an Brust, gelang es ihnen nach und nach sich zu beruhigen und in einen stetigen und gleichmäßigen Rhythmus zurückfinden.
Nach einer Weile löste sie sich aus der Umarmung, lehnte sich nach hinten und fasste Nikolajs Gesicht ins Auge. Er hielt ihren Blick. Seine Iris war ein dunkles Blau, mit schwarzen Schattierungen. Eine Unzahl von Emotionen lag in ihnen verborgen – und diesmal lag kein Schleier über ihnen, der sie verbarg.
Er hob die Hand und strich von ihrer Schläfe hinab über ihre Wange bis zu ihren Lippen. Sanft, so sanft, als wäre sie aus Glas, zerbrechlich, verletzlich. Seine Finger hinterließen ein Prickeln auf ihrer Haut. „Gwen …“ Es war lediglich ein Flüstern.
Unwillkürlich hielt sie die Luft an. So nah, körperlich wie gefühlsmäßig, waren sie sich nicht mehr gewesen, seit …
Die Emotionen – die Erinnerungen – brachen einfach so über sie herein. Sie waren immer noch da, immer noch ein Teil der Realität.
Sie spürte, wie sich etwas in ihr versteifte. Nur ein Teil von ihr, nicht ihr gesamtes Wesen. Doch es schien auszureichen, damit Nikolaj es wahrnehmen konnte. Sein Atem stockte einen kurzen Moment, ehe er tief Luft holte, seine Hand sinken ließ und ein paar Millimeter nach hinten wich.
„Nick, ich …“ Sie wollte etwas sagen – so vieles. Doch was? Und wie?
„Ich lasse nicht zu, dass das noch mal passiert. Falls dir … die Konsequenzen dies betreffend … zuwider
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