Wenn nicht jetzt, wann dann?
nebenan, und damit kann ich gut leben. Es lohnt sich dieses Mal, den Rucksack völlig auszupacken. Für mich ist es ungewohnt, dass ich am nächsten Morgen nicht gleich wieder einpacken muss.
Zunächst brauche ich aber eine Ruhephase, lege mich aufs Bett und schlafe zufrieden ein. Die Quartierfrage hier im vollen Santiago habe ich schon ein wenig als Stress empfunden, da ich befürchtet hatte, horrende Summen für mein Quartier zahlen zu müssen.
Frisch geduscht und zurechtgemacht, gehe ich anschließend los, um meine neue Umgebung zu erkunden. Es gibt so viele riesige alte Bauten und natürlich die Kathedrale zu betrachten, dass ich völlig überfordert bin. Auf jeden Fall beschließe ich, dass Fotos erst morgen gemacht werden, denn ich wüsste heute auf Anhieb gar nicht, wo ich damit anfangen sollte. Dieses alles ist viel gewaltiger, als ich es mir in meinen kühnsten Träumen vorgestellt hatte.
Ich entscheide, zuerst ins Pilgerbüro zu gehen, um mir dort meinen Stempel für den Pilgerpass und die Compostela, die Pilgerurkunde in lateinischer Sprache, abzuholen. Das Büro finde ich erst, nachdem ich mich bereits zweimal verlaufen habe, gehe dann in den ersten Stock und muss warten. Mindestens zwanzig Pilger hatten vor mir schon den gleichen Gedanken, und es dauert fast eine halbe Stunde, bis ich dran bin, obwohl vier Mitarbeiter des Pilgerbüros pausenlos tätig sind. Mein Name wird auf dieser vorgedruckten Urkunde eingetragen, jedoch wird der Vorname lateinisch verändert. Dann kommen der Stempel und das Datum dazu, und schon ist sie fertig, meine Compostela, für die ich für den besseren Transport auch noch eine kleine Papprolle mitbekomme. Dazu kaufe ich noch einige Postkarten, fülle meinen Schein mit den persönlichen Angaben (Name, Alter, Land, Stadt, Start des Pilgerweges) aus und trage in das offen liegende Pilgerbuch noch einige Sätze ein. Damit ist alles abgeschlossen, und ich habe — wie ein ordentlicher Pilger — meine Unterlagen fertig. Die Mitpilger um mich herum sehen alle gespannt und dann froh aus, so wie es mir heute auch ergeht. Ich freue mich so sehr, dass ich mein für mich geplantes Ziel erreicht habe.
Danach sitze ich auf dem Vorplatz der Kathedrale in einer Mauernische, und da spricht mich Liz, meine dänische Pilgerfreundin an, die mich dort entdeckt hat. Wir gehen gemeinsam zur Touristinformation und holen uns dort noch einen schönen Stempel mit dem Motiv der Kathedrale für unseren Pilgerpass.
Anschließend sitzen wir im Straßencafé in der Sonne, genießen café con leche und Rotwein und freuen uns unseres Lebens. Wir reden wieder sehr intensiv miteinander; sie erzählt von ihrer Tätigkeit in der Bücherei in Kopenhagen und spricht über lesefaule Menschen und die Bedeutung von Büchern für die Bildung.
Wir kommen auf Englisch ins Fachsimpeln, und ich bin so vertieft und interessiert in unser Gespräch, dass ich bald schon gar nicht mehr merke, dass ich englisch spreche.
Ein wenig muss ich nachher noch einkaufen, Obst und Mineralwasser, dann esse ich ein Baguette, sitze später auf dem Vorplatz zur Kathedrale in der Sonne und muss bald sehen, dass ich mein Bett finde, weil ich müde bin. Das gestaltet sich jedoch gar nicht so einfach, denn ich konnte mir zwar den Namen meiner Pension merken, nicht aber die Straße. Auch habe ich mich wieder einmal überschätzt und bin ohne Stadtplan losgezogen. Ich muss also fragen, mehrfach, denn viele kennen sich hier auch nicht so genau aus. Schließlich hilft mir eine freundliche Spanierin weiter, indem sie mich durch mindestens drei Straßenzüge begleitet und direkt vor meiner Pension abgibt. Wie gut, dass es hilfsbereite Menschen gibt, denke ich, als ich völlig erleichtert und müde die drei Treppen bis zu meinem Zimmer hinaufsteige!
26. Tag:
Santiago de Compostela, 30. Juni
Heute habe ich frei — welch ein wundervolles Gefühl! Ich stehe ohne Wecker auf und muss meine Sachen nicht gleich wieder in den Rucksack packen. Zufrieden fühle ich mich und verwöhnt und betrachte diese »Kleinigkeiten« als ein Geschenk. Um die Ecke gibt es ein Café, in dem ich Frühstück bekomme, welches ich entspannt und in Ruhe dort einnehme.
Heute brauche ich keine Uhr, ich habe alle Zeit der Welt. Also bummele ich durch die Altstadt, besichtige die Kathedrale und die vielen alten Bauten in ihrem Umfeld. Immer wieder bin ich von der Größe dessen, was ich sehe, völlig fasziniert.
Das Längsschiff der Kathedrale misst immerhin 97 Meter,
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