Wenn nicht jetzt, wann dann?
dass gegenüber der Kathedrale, am Ende des überdachten Vorplatzes, eine spanische Musikgruppe folkloristische Musik mit Gesang macht. Das hört sich so gut an, dass ich mich dazu stelle und begeistert der Musik lausche. Langsam füllt sich der Raum um die Musiker herum, denn immer mehr Menschen hören der Musik zu.
Im Nu bin ich im Gespräch mit zwei Frauen aus Deutschland, natürlich auch Pilgerinnen. Sie erzählen mir, dass sie zwei Tage in Finisterre waren und erst heute wieder zurückgekommen sind. Es sei sehr lohnenswert, dort hinzufahren und die hundert Kilometer per Bus seien auch gar nicht zu teuer. Ich erhalte von den beiden alle Informationen, die ich brauche, bin aber noch nicht fest entschlossen, eventuell am Montag dort hinzufahren. Das muss ich mir noch einmal durch den Kopf gehen lassen. Viele behaupten, dass der eigentliche Pilgerweg erst in Finisterre zu Ende sei, da dort bereits seit Jahrhunderten die Pilger hingelaufen wären, um dort am Meer ihre schmutzigen und verschlissenen Kleidungsstücke aus der Zeit des Pilgerns zu verbrennen.
Während unseres Gespräches spielen die Musiker unaufhörlich weiter, und es gesellen sich immer mehr Menschen zum Zuhören dazu. Immer wieder gibt es Geburtstagsständchen, die Leute klatschen mit, und es herrscht eine schöne, ausgelassene Stimmung, bei der alle ihren Spaß haben. Die Musikgruppe verkauft in den kurzen Pausen ihre CDs, und auch ich entscheide, eine CD als Erinnerung an diesen unvergesslichen Abend mitzunehmen.
Trotz der schönen Musik fange ich so allmählich an zu frieren und entschließe mich, ins Bett zu gehen. Heute Abend finde ich meine Pension ohne Probleme, auch ohne Stadtplan, ich habe die wesentlichen Aufbauprinzipien der Straßenführung in der Altstadt verstanden.
27. Tag:
Santiago de Compostela, 1. Juli
Als ich am Morgen wach werde, ist es bereits 10.00 Uhr, und es regnet noch immer. Also hat es keine Eile mit dem Frühstücken und dem Rausgehen — nass werde ich noch früh genug.
So mache ich mich in Ruhe fertig und gehe um 11.30 Uhr zur Kathedrale, wo um 12.00 Uhr die Pilgermesse stattfindet. In Santiagos Kathedrale gibt es vier bis fünf Gottesdienste pro Tag, aber die Pilgermesse um 12.00 Uhr ist etwas ganz Besonderes. Als ich gegen 11.30 Uhr die Kathedrale betrete, ist sie bereits bis auf den letzten Platz besetzt. Viele Menschen stehen auch schon in den seitlichen Gängen, und ich muss mich wohl oder übel dazustellen, wenn ich dabei sein will. Circa um 11.45 Uhr beginnt eine Dame mit Gesangesübungen, was sich so gestaltet, dass sie vorsingt und die Masse versucht, so leidlich nachzusingen. Dieses geschieht in kurzen Etappen, sodass Text und Melodie recht einprägsam sind. Gegen 12.00 Uhr beginnt dann die eigentliche Messe, in der von verschiedenen Personen Teile der Heiligen Schrift auf Spanisch vorgetragen werden. Im Mittelteil wird dann vorgelesen, welche Pilger aus welchem Land hier in Santiago angekommen sind, und es werden die Länder Uruguay, Nepal, Kanada, China usw. genannt. Es gibt sicher keinen noch so entfernten Staat, der hier nicht vertreten ist. Ich bin sehr beeindruckt, auch wenn ich nur einen winzigen Teil der Messe verstehe. Verstanden habe ich jedoch, dass hier in der Kathedrale seit tausend Jahren Pilgermessen abgehalten werden. Zwischendurch werden die Besucher immer wieder aufgefordert, aufzustehen, denn gesungen wird im Stehen. Die Messe endet, wie auch bei uns üblich, mit der Kollekte und mit dem Abendmahl, bei dem jeder, der es möchte, eine kleine Oblate gereicht bekommt.
Während der Messe habe ich mir auch den überdimensionierten Weihrauchkessel in der Kathedrale angesehen. Man sagt diesem nach, dass er früher besonders wichtig war, denn in den früheren Jahrhunderten waren die Pilger oft monatelang unterwegs, ohne sich richtig waschen oder ihre Kleidung wechseln zu können. Demnach war der Geruch, der sich durch die Pilger bei den Messen entfaltete, derart penetrant, dass man diesen nur mit einem sehr intensiv duftenden Weihrauchgeruch überdecken konnte.
Beim Verlassen der Kathedrale am Ende der Messe gibt es ein ungeheures Gedrängel, die Kathedrale hatte Unmengen von Besuchern, die alle durch die Tür hinauswollen, durch die neue Besucher und Pilger hereinkommen wollen. So dauert es bald eine halbe Stunde, bis sich dieses Knäuel entwirrt.
Draußen angekommen — der Masse Mensch entflohen — regnet es wieder. Ich schlendere noch ein wenig durch die Altstadt, die heute, am
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