Wenn nicht jetzt, wann dann?
besetzt und etwa zehn Meter hoch. Zudem gibt es geschnitzte Holzsitzbänke von einer sagenhaften Vielfalt und Schönheit. Auf jeder Bank werden unterschiedliche Personen dargestellt, die so lebensnah ins Holz geschnitzt wurden, dass sie fast lebendig erscheinen. Auch dieser Kirche ist ein Museum angegliedert, in dem man Bilder, sakrale Gegenstände sowie eine alte Apotheke besichtigen kann und wo man nähere Informationen zu den caminos, den Pilgerwegen, erhält. Das alles habe ich fast per Zufall gefunden, und ich bestaune das Innere der Kirche aus dem ersten Stock, wo sich auch das Museum befindet und wo sich ein Blick auf das Innere des Kirchenschiffes ergibt.
Der Bildung nicht genug, zu guter Letzt habe ich mir La casa de la Troja vorgenommen, ein Haus in der Straße, in der ich wohne. Dieses dreistöckige Haus aus dem 17. Jahrhundert wird komplett eingerichtet mit Requisiten aus dem 18. Jahrhundert gezeigt. Eine junge Spanierin gibt für eine andere Dame und mich auf Englisch eine Führung mit Erklärungen, die ich noch hinterfragen kann. So erzählt sie, dass dieses Haus eine der ersten Möglichkeiten war, in Santiago für eine gewisse Zeit ein Zimmer zu mieten. So haben hier Schriftsteller und Studenten gewohnt und sind in ihrem Werdegang von der Stadt Santiago und deren geistlichem Hintergrund stark beeinflusst worden. Auch höre ich, dass die Galicier sehr von den Engländern und Iren geprägt wurden und genauso eine eigene Sprache haben wie Leute in anderen spanischen Provinzen, wo man, beispielsweise rund um Barcelona, catalan spricht. Beeindruckt und mit viel Interesse nehme ich diese Informationen und den Anblick der Wohnweise des 18. Jahrhunderts auf.
Die Stadt Santiago de Compostela bietet jedoch noch viel mehr, nämlich ein Galizisches Museum, ein Kunstmuseum usw. Also, reizvoll und interessant ist es allemal, auch wenn mich im Laufe meiner Tage hier die ständig neuen, zum Teil per Bus kommenden Touristenströme stören. Oder ist es einfach so, dass ich nach langen Wochen des einsamen Wanderns die Menschenmengen nicht mehr so gut vertragen kann? So genau weiß ich es selber nicht. Auf jeden Fall bin ich inzwischen mit den Gedanken schon viel zu Hause. Es ist eben doch eine lange Zeit, die ich von zu Hause fort bin. Ich freue mich wieder auf mein gewohntes Umfeld und vor allem auf die Menschen, mit denen ich zusammen lebe. Ich brauche jetzt, nach der langen Zeit in der Fremde, dringend wieder etwas Vertrautes, eben mein Zuhause.
Der Abend verläuft für mich ruhig, ich esse zum letzten Mal, in einer der Seitenstraßen, ein Pilgermenü für 8,00 €, bestehend aus Gemüsesuppe, Pommes frites und Fleisch und einer Apfelsine als postre, was so viel wie Nachtisch bedeutet. Dazu gibt es eine halbe Flasche Wein im Krug und zwei große Stücke Brot, wie hier immer üblich. Danach laufe ich noch einmal durch die nun erleuchtete Altstadt und lasse mich von der unwirklich erscheinenden, in grünlichem Licht angestrahlten Kathedrale faszinieren. Ich versuche diesen Anblick in meinem Kopf zu speichern — im Fotoapparat habe ich ihn schon lange — , um ihn später immer wieder abrufen zu können. Vielleicht gelingt es mir.
Um ruhig schlafen zu können, packe ich heute Abend noch meinen Rucksack, der richtig voll ist, da ich doch das eine oder andere für meine Familie und mich mitnehme; ein kleines Mitbringsel muss sein und macht Freude. Es ist 0.30 Uhr, als ich endlich das Licht ausmache und jetzt auch müde genug bin, dass ich sofort einschlafe.
30. Tag:
Santiago de Compostela — Hamburg, 4. Juli
Kurz nach 9.00 Uhr werde ich von allein wach, ich bin unruhig, denn heute ist Abreisetag. Zur Feier des Tages gehe ich noch einmal frühstücken, schlendere noch einmal durch die Altstadt und bleibe an der Kathedrale, die mich immer wieder fasziniert, hängen, um mich zu verabschieden. Ein wenig ist mir das Herz nun doch schwer, aber die Vorfreude auf zu Hause überwiegt.
Um 12.00 Uhr kommt mein Taxi, das ich mir glücklicherweise mit einem Pilgerbekannten teilen kann. So komme ich für circa 8,00 € bequem und stressfrei zum Flughafen, was mir im Hinblick auf mein »Geschenkegepäck« sehr lieb ist.
Als Alternative hätte es aber auch einen Bus gegeben, der vom Rande der Altstadt regelmäßig zum Flughafen fährt. Die öffentlichen Verkehrsmittel sind in Spanien sehr gut und fahren regelmäßig, wenn auch nicht immer pünktlich.
Als Erstes suche ich nun den Schalter meiner Fluggesellschaft, um mich zu
Weitere Kostenlose Bücher