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Wenn Wir Tiere Waeren

Titel: Wenn Wir Tiere Waeren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Genazino
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Seltenes, ein Kornweihen-Pärchen. Das Wort Kornweihe hatten wir erst wenige Tage zuvor von unserem Biologielehrer gehört. Ich war von Marias Weichheit umhüllt und dachte die ganze Zeit an das Wort Kornweihe. Auch unser Biologielehrer konnte uns damals nicht erklären, was eine Kornweihe eigentlich sei und warum das Wort der Name eines Vogels war. Das Männchen flatterte eine Weile allein am Himmel und schwebte dann herab auf die Erde, wo das Kornweihenweibchen am Boden saß und wartete. Flügelschlagend und schreiend begattete das Männchen seine Partnerin und entschwebte dann wieder in die Höhe. Leider hatte ich keine Flügel und musste meine Begeisterung deswegen mit Geräuschen und Bewegungen ausdrücken. Erst jetzt fiel mir ein, dass ich die Kornweihe vor allem wegen ihres Entschwindens in den Himmelbewunderte und beneidete. Ja, dachte ich, so müsste auch der Mensch fliehen dürfen und durch die Flucht keinerlei Verstimmung zurücklassen. Maria wimmerte und stöhnte leise. Es war nicht klar, ob sie es wirklich kriegen würde. Aber wenn es nicht klappte, würde sie später auch mit ihrem langen Anlauf zufrieden sein. Ihre Anstrengung war eindrucksvoll, aber auch schwankend und unentschieden. Trotz ihrer Schwäche stieß sie kleine Schreie und Seufzer aus. Ich bemerkte, dass sie gelegentlich die Augen einen Spalt öffnete, genau wie ich. Wir redeten nicht darüber, was wir mit diesen Blicken beobachten wollten.
     

3
    VON HALB SIEBEN bis halb elf saß ich am Zeichentisch und arbeitete wie ein von Kameras beobachteter Angestellter. An solchen Ausnahmetagen gelang es mir, innerhalb weniger Stunden die Arbeit einer halben Woche zu erledigen. Jetzt kam ich mir erschöpft und leer vor, obwohl der Tag erst angefangen hatte. Ich reinigte das metallene Spülbecken in der Küche, ich wischte die Staubflusen unter den Heizkörpern auf und wechselte das Bettlaken, auf dem Maria die Spuren einer kleinen Schmierblutung hinterlassen hatte. Maria war erschrocken, ich beruhigte sie. Erstens gefiel mir das Bild der Blutung. Es sah aus wie eine kleine Arbeit von Wols oder Pollock, und zweitens hatte ich das Gefühl: In meinem Bett pulsiert das Leben. Wenn ich einmal alt und ohne Frau sein und dann immer noch in diesem Bett schlafen würde, dann wäre ich beeindruckt von meinen bewegten Jahren. Ich zog das Bettuch herunter und sah, dass tatsächlich ein wenig Blut in die Matratze eingedrungen und nach irgendwohin versickert war. Wieder überlegte ich, ob ich eine Plastikfolie zwischen Bettlaken und Matratze einziehen sollte – und ließ es dann wieder. Ich wollte vor Maria, falls sie die Plastikfolie jemals entdecken sollte, nicht wie ein um seine Matratze besorgter Mann erscheinen. Durch die dichte Abfolge der Haushaltstätigkeiten kippte plötzlich mein Tagesgefühl. Meine Wohnung erschien mir jetzt wie ein einzigerzusammenhängender Bereich der Verstocktheit und der Erstarrung. Ich konnte hinschauen, wohin ich wollte, überall lag etwas herum und bewegte sich nicht mehr. Das war die Stimmung, in der ich gewöhnlich die Wohnung verließ und draußen auf eine neue Eingebung hoffte. Vor drei Tagen hatte mir Maria ihre Unzufriedenheit gezeigt. Sie hielt mir vor, dass ich nicht in Urlaub fahren wollte. Der Vorwurf war zutreffend, ich fühlte mich schuldig und schwieg. Ich war nicht gern unter Leuten, die vierzehn Tage lang an einer Costa herumlagen, in ihrem Hotel täglich drei Mahlzeiten verzehrten und am Abend in der Hausbar ein Cuba libre tranken. Allerdings wusste ich, dass Maria diese Art Urlaub schätzte.
    Alle fahren in Urlaub! rief sie aus.
    Sie wusste nicht, dass ich es zum Verzweifeln fand, wenn sie mir derart konventionelle Vorwürfe machte. Allerdings berührte es mich auch, wenn ich ihr Gemüt hilflos klagen hörte.
    Willst du denn nie Urlaub? fragte sie geschmerzt.
    Ja, doch, du hast schon recht, sagte ich, um die Debatte zu beenden. Den letzten Satz hätte ich vielleicht nicht sagen sollen.
    Das erste ist, antwortete Maria, dass du dir für den Urlaub eine helle Sommerhose und ein leichtes Sakko kaufen musst.
    Im Ernst? fragte ich schwach.
    Du kannst nicht in deinen dunklen Sachen in einem hellen Land herumlaufen, sagte sie.
    Dieser Satz gefiel mir sehr gut. Momentweise überlegte ich mir, wie es wäre, wenn ich in dunklen Kleidern in einem hellen Land herumliefe. Ich war voller Respekt für Marias Einfühlung in fremde Länder, obwohl ich die ganzeZeit wusste, dass ich nicht in Urlaub fahren würde, weder in

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