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Wenn Wir Tiere Waeren

Titel: Wenn Wir Tiere Waeren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Genazino
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abstürzen werden, jedenfalls die meisten. Sie sind zu gutgläubig, das ist das Problem. Sie tun mir leid, ich würde sie gerne jetzt schon trösten.
    Ich hörte Maria gerne zu. Sie konnte gut beobachten und das Beobachtete gut ausdrücken, genau das richtige für die Werbung. Wenn nur der Alkohol nicht gewesen wäre! Maria trank bereits das dritte Glas Weißwein, schon das zweite wäre zuviel gewesen. Es zeichnete sich ab, dass ich sie nachher nach Hause bringen oder mit zu mir nehmen musste. Es war mir klar, dass mir das zuviel werden würde und dass ich das jetzt schon wusste. Mittagessen dieser Art hatten wir schon viele hinter uns. Jedesmal zog eine leichte Bitterkeit in mich ein. Es gab ein Signal, das sie selbst nicht an sich ertragen konnte: wenn der Alkohol ihre Rede undeutlich machte. Sie wusste, ich schlief gerne mit ihr, wenn sie nicht mehr ganz auf der Höhe war. Und sie ahnte vermutlich auch, dass ich vielleicht deswegen nicht wirklich gegen ihren Alkoholismus einschreiten wollte. Ich glaubte, Maria war auf stille Weise begeistert von ihrer sexuellen Macht über mich. Ihre Haut begann ein wenigmehlig und mürbe zu werden. Ich wusste nicht, wie Maria selbst zu diesen Veränderungen stand. Vermutlich empfand sie ihren Alkoholismus nicht als tragisch. Deswegen würde sie nachher in ihrer oder meiner Wohnung weitertrinken wollen. Genaugenommen waren wir schon vor langer Zeit übereingekommen, dass wir, wenn sie angetrunken war, in ihre Wohnung gingen. Aber in angetrunkenem Zustand vergaß sie auch unsere nüchtern getroffenen Vereinbarungen. Ich würde, wenn nötig ein wenig unsanft, auf ihre Wohnung drängen. Sie würde sich auf den Teppichboden setzen und mich bitten, eine Flasche zu öffnen. Ich würde ihrer Bitte nachkommen und ihr noch einmal einschenken. Dabei passierte es leicht, dass sie beim Gestikulieren und Reden ihr Glas mit der Hand umstieß. Für diesen Fall lagen hinter dem Papierkorb ein Stapel Papiertaschentücher und ein halbes Pfund Salz bereit. Rotwein im Teppich wurde sofort mit Taschentüchern abgetupft und mit Salz aus dem Teppich herausgesaugt. Die Flecken verschwanden, aber nicht ganz. Es blieb ein Mosaik von grauen, graugrünen und grauvioletten Resten.
    Meine Bitterkeit ging auf einen bestimmten Punkt der Einsicht zurück. Ich machte mir klar, dass ich von dieser Frau vermutlich nicht mehr loskommen würde. Es folgte eine stumme Beschimpfung: Zweifellos liebst du diese Frau, und es ist kindisch, eine fleckenlose Liebe zu erwarten. Sie hat alles, was ich zum Leben brauche … ach, ich hörte auf damit. Ich hatte ihren Eintritt in mein Leben nicht rechtzeitig bemerkt, dadurch kam ich mir zuweilen überrumpelt vor. Wir waren über unsere Teller gebeugt und aßen und schwiegen. Das heißt, Maria schimpfte immer noch leise über die Männer um uns herum. Wenn sie angetrunken war, hielt sie sich für eine noch nicht zumZug gekommene Intellektuelle. Es war ihr bis jetzt nicht gelungen, mit ihren Fähigkeiten in geeignete Umgebungen vorzustoßen. Bei uns gilt jemand, der einen Anspruch nur privat einlöst, als nicht existent, sagte sie dann. Von einer Begabung müssen immer auch alle anderen erfahren, sonst gilt sie nicht. Ich wurde leider ein wenig ungeduldig. Die Prämie des Beischlafs nach diesem langen Essen verlor langsam an Wert. Ich dachte Gedanken, die ich schon viel zu oft gedacht hatte. Viel riskanter war, dass sich mein Verhältnis zur Sexualität (das Verlangen) in solchen Phasen oft aufspaltete. Wenn ich mit mir allein war, bemerkte ich lange nicht, dass mir etwas fehlte. Diese Ignoranz kam mir später meistens problematisch vor. Dabei hätte ich aufatmen können: Es reicht! Aber sobald ich mit Maria zusammen war, schlug die alte Beiß-, Greif- und Lutschgier wieder durch. Ich wollte dem Leben auf keinen Fall etwas schuldig bleiben. Dass in der (nicht eingelösten) Sexualität eine Schuld versteckt war, verstand ich nicht. Das Nichtverstehen irritierte mich, aber nur eine Weile. Dann erinnerte ich mich daran, dass es vieles gab, was ich nicht verstand.
    Maria schob ihren leeren Teller von sich weg und fuhr sich mit gespreizten Fingern durch das Haar. Immer mal wieder klagte sie über juckende Kopfhaut. Sie holte ihren Lippenstift aus der Tasche und schminkte sich die Lippen neu, was ich auch nicht verstand, aber ich fragte nicht. Es konnte uns jetzt nur noch passieren, dass Maria plötzlich übel wurde. Die um uns herumsitzenden Männer hatten längst bemerkt, dass wir auf

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