Wenn Wir Tiere Waeren
der Ausländer zu den Passanten. Jesus ist gekommen, um Ihnen Macht gegen Sünde zu geben, die Kraft gegen Sünde, gegen Alkohol, Jesus will Ihnen verstärken. Die Jugendlichen lachten jetzt auch über die Fehler in seiner Rede, aber der Prediger ließ sich nicht stören. Wechsel kein Mann, wechsel kein Frau, verlasse Ihre Eltern nicht, Jesus hat Lösung, sagte der Mann. Ich sah den Fremden ernst an, so dass er mich vermutlich für interessiert hielt. Dabei war ich nur der übliche Soldat der Wirklichkeit, der aufnimmt, was sich ereignet. Ich erinnerte mich an Birgit mit einem kleinen Verlangen. Nach einem Kind verlangte es mich nicht, aber eine schwangere Frau zog mich stark an. Das Beste wäre, ich hätte eine dauerhaft Hochschwangere, bei der es nie zu einer Geburt kommt, stets um mich herum. Ein wenig Tränenflüssigkeit stieg mir in die Augen, ich suchte nach ihren Gründen und fand sie nicht. Vermutlich war mir nur die innere Unmöglichkeit meines Lebens ein wenig zu nahe gekommen. War es denn möglich, sich eine permanent Schwangere als Lebensbegleiterin zu wünschen? Seit ein paar Augenblicken dauerte mir der Tag zu lang. Es ist alles so ödlich und tödlich, dachte ich und lachte kurz. Ich staunte über die riesigen Brote in den Bäckereien. Gab es neuerdings wieder große Familien, in denen große Brote auf den Tisch kamen? Schon zum zweiten Mal an diesem Nachmittag sahich ein Geschäft, das gerade pleite ging. Eine leicht verwirrte Frau mit einem Trinkbecher in der Hand kam vorüber und sagte: Jeden Tag sage ich guten Tag zur Sparkasse. Ich wollte weitere Sätze von ihr hören, aber es kam nichts mehr. Ich überquerte die Straße und betrat das teuerste und eleganteste Café der Stadt. Es gehörte zu einem ebenfalls teuren und eleganten Palasthotel, dessen Eingangspforte im Hintergrund zu sehen war. Rings um das Café war ein gepflegter Hotelgarten angelegt. Tausendmal war ich an diesem Café vorübergegangen, heute wollte ich zum ersten Mal hier Gast sein. Ich betrachtete flüchtig die weit geöffneten Blüten von Pfingstrosen und Forsythien. Es gab viel Platz zwischen den mit hellgelbem Damast gedeckten Tischen. Ich setzte mich, sah nicht umher und wartete. Schon nach kurzer Zeit hatte ich das Gefühl, dass sich das Café vor mir aufspielte. Ich fragte mich, in welchem Alter ich begonnen hatte, Schönheit zu empfinden. Es konnte noch nicht allzu lange zurückliegen. Es muss die Schönheit der Hotelanlage gewesen sein, die in mich eindrang und mich leicht erschreckte.
Eine Bedienung verließ den Eingang des Palasthotels und kam ohne Eile auf mich zu. Ich bestellte ein Kännchen Kaffee, einen Apfelstrudel und ein Glas Sekt. Die Bedienung lächelte schwesterlich und verschwand. Ein Herr verließ einen Tisch und wünschte einem zurückbleibenden Herrn einen »erfolgreichen Tag«. Ich betrachtete einen Kellner, der seitlich an einem Tisch stand und Essbestecke in weiße Servietten einrollte. Der Kellner sah die Gäste während seiner Arbeit nicht an. Die zwischen den Tischen herumhüpfenden Spatzen ähnelten den hüpfenden Blechvögeln, von denen ich als Kind einen besaß. Mein Blechtier hüpfte genauso über unseren Teppich im Wohnzimmer wiedie echten Spatzen über den hellen Kiesweg zwischen den Tischen. Als Kind dachte ich, die Blechtiere waren zuerst auf der Welt, und nach ihnen wurden die lebenden Spatzen konstruiert. Nein, das hatte ich nicht als Kind gedacht, das dachte ich jetzt. Ich staunte kurz über einen Mann, der seinen halbleeren Teller zurückschob und dann aufstand und wegging. Elegant gekleidete Kinder fuhren auf Rollern und Dreirädern die Wege entlang. Die Bedienung kehrte zurück und stellte Kaffee, Kuchen und Sekt auf meinem Tisch ab. Ich wollte zahlen wie üblich, aber als die Bedienung fragte, ob die Rechnung aufs Zimmer gehe, nickte ich kurz und zeichnete die Rechnung ab.
Welche Zimmernummer bitte?
Hundertvierunddreißig, sagte ich.
Die Bedienung notierte die Nummer und verschwand. Mit unangemessener Langsamkeit machte ich mir klar, dass ich mich soeben des Betrugs schuldig gemacht hatte. Ich aß den Apfelstrudel zur Hälfte auf und trank den Sekt, der Kaffee war mir zu heiß. Wie der Mann vor mir stand ich auf und ging blicklos hinaus.
4
UNTEN , AUF DER STRASSE , trottete wie fast jeden Tag ein langsamer Obdachloser vorüber. Meine Kaffeemaschine ging langsam ihrem Ende entgegen. Sie keuchte inzwischen wie ein alt gewordener Hund. Ich rechnete beinahe jeden Tag damit, dass sie
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