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Wenn Wir Tiere Waeren

Titel: Wenn Wir Tiere Waeren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Genazino
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aufschlagen, da trat Thea schon ein. Sie war überschminkt und nur mit Rock und Bluse bekleidet. Sie beugte sich über mich und gab mir einen Kuss auf die Wange.
    Du siehst gut aus, sagte ich.
    Du willst bloß nicht sagen, dass ich dir nach wie vor gefalle, sagte sie.
    Ach Gott, machte ich.
    Du siehst auch gut aus, sagte sie.
    Sie bestellte einen großen Espresso und einen Grappa.
    Du trinkst harte Sachen?
    Nur heute, sagte sie, ich muss mir ein bisschen Mut antrinken.
    Sie lachte.
    Wozu brauchst du Mut?
    Das wirst du gleich merken, sagte sie.
    Du machst mich unruhig.
    Schieb es nicht auf mich, sagte sie, unruhig bist du doch immer.
    Du bist wieder so oberschlau.
    Ich weiß nicht, wie ich anfangen soll.
    Das macht mich noch unruhiger.
    Also gut, sagte sie, ich will dich anpumpen.
    Oh, machte ich und schwieg eine Weile.
    Dann sagte ich: Warum gehst du nicht zur Bank?
    Du kennst mich doch, sagte sie, Banken machen mir sogar dann angst, wenn ich nichts von ihnen will.
    Lange nachdenken musste ich nicht. Ich wollte Thea kein Geld leihen. Dennoch fragte ich: Wieviel brauchst du?
    Zehntausend, sagte sie.
    Oh, machte ich zum zweiten Mal.
    Ich kann es dir erklären, sagte Thea; ich will mir meine Zähne richten lassen. Beziehungsweise, es ist viel schlimmer. Ich war endlich beim Zahnarzt, weil ich so oft Zahnschmerzen habe. Der Zahnarzt hat festgestellt, dass der Untergrund meiner Zähne angefault ist. Wahrscheinlich ist nichts mehr zu retten.
    Ich sah, dass ihr die Tränen kamen. Ich schaute in meine halbleere Tasse und schwieg. Thea schluckte und wartete eine Weile.
    Der Zahnarzt sagt, sagte Thea, ich brauche ein Gebiss, komplett neue Zähne oben und unten.
    So schlimm ist es?
    Ich kann auch noch zwei oder drei Jahre warten, sagt der Zahnarzt, aber dann habe ich jeden Tag Zahnschmerzen.
    Hast du niemand außer mir, der dir Geld leihen könnte?
    Es tut mir leid, sagte sie, bei dir fällt es mir am leichtesten; ein neues Gebiss kostet mich etwa zwölftausend Euro. Zweitausend habe ich auf dem Sparbuch. Und den Rest, ja, um den Rest bitte ich dich. Im Lauf von zwei Jahren kann ich es dir zurückzahlen, in Raten von jeweils fünfhundert Euro.
    Ich hätte gern überlegt, aber ich konnte nicht überlegen, ich konnte nicht einmal zögern. Thea wollte das Geld so bald wie möglich, am besten schon morgen. Jetzt zögerte ich doch, und Thea sah es.
    Der Zahnarzt besteht auf Vorkasse, sagte sie, aufgrund seiner schlechten Erfahrungen.
    Was für schlechte Erfahrungen?
    Mit zahlungsunwilligen Patienten. Er hat es satt, sagte sie, seinem Honorar jahrelang hinterherzulaufen.
    Mir war nicht wohl, aber ich würde ihr aushelfen. Ich wusste lediglich, dass Thea in halbwegs kontrollierten finanziellen Verhältnissen lebte und nicht zum Schuldenmachen neigte.
    Ich überweise das Geld auf dein Konto, ist das in Ordnung?
    Oh, das ist wundervoll, sagte sie, ich danke dir sehr. Bitte verzeih mir die Drängelei, aber kannst du das Geld bitte bald überweisen?
    Ja, sagte ich nur.
    Vielen vielen Dank, sagte sie, mir ist das alles furchtbar peinlich.
    Jetzt kam ich doch ins Nachdenken. Thea war zweiundvierzig Jahre alt. Schon länger als ein halbes Leben ertrug sie ihre schlechten Zähne. Ich verstand nicht, warum sie gerade jetzt, an der Schwelle zum Alter, ihre Zähne erneuern wollte. Ihre Hauptausstrahlungszeit als Frau hatte sie hinter sich, eine Ehe ebenfalls. Die Leute, mit denen sie Umgang hatte, hatten sich an den Anblick ihrer Zähne gewöhnt. Es sei denn, sie wollte noch einmal heiraten und ein paar Schönheitsreparaturen in die Wege leiten. Ich fragte nicht. Wenn sie hätte heiraten wollen, hätte sie längst selbst davon angefangen.
    Du bist so still, sagte sie, hoffentlich habe ich dich nicht verstimmt.
    Ich war tatsächlich verstimmt, aber ich sagte: Ich bin nur erschöpft.
    Soll ich gehen? fragte sie.
    Ich schwieg.
    Ich bin auch müde, sagte sie, außerdem fühle ich mich schwach nach unserem Gespräch; ich danke dir nochmal, dass du es mir leichtgemacht hast.
    Thea nahm ihre Handtasche, verstaute ihre Brille und ihre Papiertaschentücher und erhob sich.
    Wir telefonieren, sagte sie.
    Ja, sagte ich.
    Geh zum Arzt, wenn du dich schlecht fühlst, sagte sie im Stehen.
    Mir fehlt nichts, sagte ich, ich bin nur ein bisschen stumm, das kennst du doch von früher.
    Sie lächelte und ging.
    Ich hatte keine Reichtümer auf der Bank, aber zehntausend Euro konnte ich überweisen. In nächster Zeit plante ich keine größeren Anschaffungen und

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