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Wenn Wir Tiere Waeren

Titel: Wenn Wir Tiere Waeren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Genazino
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Maria, dass sie meinen Hemdenkragen zerrissen hatte. Tatsächlich war es zwischen uns nie zuvor zu einer solchen Handgreiflichkeit gekommen. Genaugenommen wartete ich darauf, dass Maria sich entschuldigte. In Wahrheit hätte ich mich gerne entschuldigt, wenn ich gekonnt hätte. Ich fühlte, dass mein Hedonismus begonnen hatte, mich mir selber fremd zu machen. Selbstüberfickung, gab es das, fragte ich mich. Ich hatte davon nie etwas gehört oder gelesen. Dann trat Maria fertig angezogen vor mich hin und spuckte auf den Teppich. Sie spuckte nicht wirklich, sie ahmte nur die Bewegung und das Geräusch des Spuckens nach. Danach drehte sie sich um und verließ die Wohnung. Als sie ins Treppenhaus trat, stießen neue Schluchzer aus ihr hervor. Wie ein Spießer sorgte ich mich darum, Nachbarn könnten das Schluchzen gehört haben. Ich war in gewisser Weise dankbar, dass mir ein vergessener Tampon geholfen hatte, eine Klärung herbeizuführen, für welche der beiden Frauen ich mich entscheiden sollte. Ich selbst hätte diese Entscheidung nicht treffen können. Ich liebte beide Frauen, und ich hätte sie auch beide gerne behalten.
    Noch zwei Tage später, an einem Samstag, als Karin und ich (in ihrem Auto) nach Wuppertal fuhren, machte ich Monet herunter, was ich selbst ärgerlich fand. Es geschah nur deswegen, weil Karins verstorbener Mann den Maler geschätzt hatte. Es war ein sublimer Akt der Eifersucht, verschoben in ein Bildungserlebnis. Ich nannte Monet einen billigen Kaufhausmaler, der schon im 19. Jahrhundert den Massengeschmack des 20. und 21. Jahrhunderts erkannt hatte und Bilder malte, die heute in jedes Wartezimmer und in jedes Sekretariat hineinpassten. Bevor wir losfuhren, machte sie sich lustig über meine Junggesellenwirtschaft. Sie fasste mit der Hand in meinen sogenannten Wäscheschrank. Was die Unterwäsche betrifft, sagte sie, lebst du wie ein Penner. Wenn meine Sachen in der Wäscherei waren, musste ich mir aushelfen mit älteren Unterhosen, die ich eigentlich schon zum Wegwerfen ausgesondert hatte. Ich hoffte im stillen, sie werde sich nicht bereit erklären, mir demnächst neue Unterhosen zu kaufen. Tatsächlich blieb sie still, wofür ich dankbar war. Eine meiner heftigsten Ängste bestand darin, dass die Liebe mehr und mehr in die Versorgung abwanderte. Bis am Ende nur noch die Versorgung übrig war – und die Liebe sich aufgelöst hatte. Andererseits erkannte ich die Festigung des Alltags, die durch eine dauerhaft anwesende Frau entstand. Der Zwiespalt machte mich stumm, während Karin gesprächiger wurde. Kurz vor Wuppertal nannte sie mich mit dem Namen ihres toten Ehemannes und merkte es nicht oder nicht gleich. Erst im Vorraum des Museums bat sie mich um Entschuldigung. Es schoben sich einige Schluchzer ihre Kehle hoch, so dass sie den Satz nicht zu Ende sprechen konnte. Ich nahm sie an der Hand und ging mit ihr zur Seite. Ich bin überhaupt nur hier, weil Monet derLieblingsmaler von Michael war und ich endlich einmal sehen will, was ihm so gefallen hat. Danach schluchzte sie erneut und verbarg ihr Gesicht hinter ihrer Handtasche. Ich überlegte, ob ich etwas sagen sollte, und entschied mich fürs Schweigen. In einer Pause sagte Karin: Denk nicht, dass ich dich nicht mag, das Gegenteil ist der Fall, ich mag dich genauso wie Michael und möchte, dass wir zusammenbleiben.
    Ich schaute auf die Straße hinaus. Jugendliche stolperten über eine halbzerbrochene Flasche und kickten die Glasstücke in die Gegend. Ich erhob mich und holte bei der Cafeteria zwei Becher Kaffee. Als ich zurückkam, hatte sich Karin beruhigt. Sie sagte: Willst du nicht zu mir ziehen?
    Ich war sprachlos.
    Ich merke, dass du mir guttust, sagte sie, aber du musst dich jetzt nicht äußern, ich wollte es dir nur sagen.
    Der Kaffee war lauwarm. Trotzdem tranken wir die Becher leer. Dummerweise fühlte ich mich Karin gegenüber verpflichtet, worüber ich nicht reden wollte.
    Du bist verwirrt, sagte Karin, das ist authentisch, das gefällt mir an dir.
    Karin deutete die Situation falsch, worüber ich auch nicht reden wollte. Überhaupt stand mir nicht der Sinn nach Aussprachen, obwohl vielleicht gerade ich eine solche Aussprache nötig gehabt hätte. Ich litt darunter, dass mir alles in den Schoß fiel: eine Stelle, eine Frau, ein Auto, und jetzt möglicherweise eine Wohnung. Es ängstigte mich, dass ich, wenn ich bei Karin einzöge, vollständig die Kopie eines anderen werden müsste. Ich sah die normal erkalteten Beziehungen

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