Wenn Wir Tiere Waeren
voraus, die mir drohten. Ich verachtete das normale, flüchtende Leben und die Vernunft, die zudiesem langsam verhungernden Stilleben hinführte. Leider war ich auch mit der Form meines gegenwärtigen wirklichen Lebens nicht einverstanden. Von den beiden Frauen, mit denen ich zusammen war (wenn mir eine nicht schon abhanden gekommen war), kannte ich genaugenommen nur ihr Geschlecht. Das war nicht die ganze Wahrheit, aber ich dachte diese Herabsetzung oft. Das war mein peinlich gewordener Liebesradikalismus, der sich vor Verfeinerungen jeder Art fürchtete. Ich dachte oft, dass es nicht einen einzigen Menschen gab, den das Geschlechtsleben wirklich zufriedenstellte. Alles, was nach diesem Satz hätte kommen sollen (müssen), flößte mir Furcht ein, weil ich den Folgen nicht gewachsen schien. Es kam immer nur zu Zwischenlösungen, die dann endgültig wurden. Auch mit Karin ging es oft nur halbherzig zu. Sie hatte eine entzückende kleine Kindermöse, lieblich umkräuselt von hellblonden Löckchen. Dieses begeisternde Paradieschen war voller Tücken. Erstens war es fast immer trocken und deswegen abgedichtet wie ein Frauenschließfach, wenn es so etwas gibt. Ich musste es lange liebkosen, damit es sich ein wenig öffnete und zutraulich wurde. Zweitens setzte dann, als ich endlich drin war, ein merkwürdiges Theater ein. Karin begann, mich wieder aus sich herauszuschieben, indem sie die Beine immer mehr zusammendrückte, bis ich tatsächlich wieder herausrutschte. Wir hatten nie über diesen fatalen Verlauf gesprochen, gewöhnten uns aber an ihn, als sei er zwischen Mann und Frau das Menschenmögliche.
Willst du noch etwas von der Cafeteria? Oder sollen wir uns jetzt nicht mal die Ausstellung anschauen? fragte Karin.
Es war unglaublich, aber mit solchen Sätzen ging dieZwischenlösung weiter. Ich hatte Bilder von Monet bisher immer nur in billigen Bildbänden oder schlecht gedruckten Kalendern gesehen. Jetzt aber, im Museum, einen halben Meter vor den Originalen, war ich überwältigt. Ich wurde vom fast unaussprechlichen Können dieses Malers überrollt. Monet war ein Künstler, der aus der damals schon öden Gebrauchtwelt eine neue Originalwelt schuf. Und obwohl die darauf abgebildete Welt schon über hundert Jahre alt war, erschien sie frisch und lebendig. Weil ich die Bilder so lange unterschätzt beziehungsweise missverstanden hatte, betrachtete ich sie jetzt mit einem endlich ans Tageslicht gekommenen Schuldgefühl und genoss dessen langsame Selbstauflösung, als sei auch das Schuldgefühl auf den Gemälden abgebildet. In der Auflösung meines verrottenden Vorbehalts konnte ich momentweise sogar hinnehmen, dass Karin in der Anschauung der Bilder eine wieder aufflackernde Verbindung zu ihrem toten Mann zelebrierte, über die sie nicht sprach.
Wir blieben fast eineinhalb Stunden in den Sälen des Museums, zwar gemeinsam, aber die ganze Zeit doch getrennt, unsere inneren Bahnen ziehend, was wir auch dann noch taten, als wir wieder nebeneinander im Auto saßen und nach Hause fuhren.
In ihrer Wohnung verwandelte sich Karin zurück in eine jetzt lebende Frau. Ich hatte schon fast vergessen, dass sie mich aufgefordert hatte, zu ihr zu ziehen. Beziehungsweise, ich hatte geglaubt, dass sie diesen Vorschlag nicht wirklich ernst gemeint hatte, sondern mir nur sagen wollte, wie unzertrennlich sie sich inzwischen fühlte. Jetzt aber, in ihrem Schlafzimmer, als wir unsere Kleider ablegten, erneuerte sie ihre Bitte, beziehungsweise fragte, wann ich denn bei ihr einziehen werde. Sie erkannte nicht (oder es war ihrnicht wichtig), dass mich die Frage herabstimmte, so stark, dass ich eine halbe Stunde später, als wir miteinander schlafen wollten, impotent blieb. Sie umarmte mich und lachte ein bisschen und sagte: Das musst du nicht so ernst nehmen, das ist Michael auch manchmal passiert.
8
NACH DREI WOCHEN WAR es Zeit, bei der Post nachzufragen. Nach Büroschluss nahm ich meinen falschen Ausweis und machte mich auf den Weg. Leider war ich erregt, was ich nur zum Teil verstand. Schließlich hatte ich bei der Post schon manches Paket abgeholt. Ich freute mich auf die schläfrigen Gesichter der Postler. Ich kannte kaum Menschen, die die Arglosigkeit der Postler hätten übertreffen können. Was sollte auch dabeisein, Pakete an Menschen auszuhändigen, die ihren Ausweis vorzeigten und dann wieder gingen? Aber diesmal sah ich in der Nähe der Paketausgabe einen Polizeiwagen am Straßenrand. Das Auto war leer. Vermutlich warteten
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